: Turbulenzen nach der Flucht aus Wackersdorf
■ Der niedersächsische SPD-Fraktionschef Schröder verlangt Abbruch der Planfeststellung für das geplante Atommüll-Endlager Schacht Konrad / Endlagerung nach deutsch-französischer Vereinbarung völlig offen / Bayerische AKW-GegnerInnenbegrüßen Solarzellenfabrik und wollen den Widerstand europäisieren
Hannover/Berlin (taz) - Die am Dienstag in Bonn besiegelte deutsch-französische Atom-Kooperation bringt vor allem im Endlager-Land Niedersachsen die politischen Fronten in Bewegung. Angesichts der Europäisierung des Atomprogramms forderte nach den Grünen nun auch der SPD -Fraktionsvorsitzende Gerhard Schröder am Dienstag abend den sofortigen Abbruch des Planfeststellungsverfahrens für das geplante Atommüllendlager Schacht Konrad. Alle Erklärungen der niedersächsischen Landesregierung, in Gorleben und Konrad dürfe nur bundesdeutscher Atommüll eingelagert werden, seien nach den in Bonn unterzeichneten Abkommen auf Sand gebaut, sagte Schröder vor der Presse.
Während für den SPD-Politiker eine Endlagerung hochaktiver Abfälle im Gorlebener Salzstock „definitiv nicht geht“, gibt es dafür nach seiner Ansicht bei der Lagerung schwach- und mittelaktiver Abfälle in Schacht Konrad lediglich „ernstzunehmende Hinweise“. Da die Einlagerungskriterien für Konrad jedoch immer wieder geändert worden seien und niemand wisse, was nun wirklich in die ausgediente Eisenerzgrube hinein solle, sei ein Abbruch des Planfeststellungsverfahrens nur logisch. Auf den Hinweis, daß in der Bundes-SPD Schacht Konrad nach wie vor als ein geeignetes Endlager angesehen werde, sagte Schröder: Die SPD in Bonn müsse sich damit abfinden, „daß wir ab 1990 in Niedersachsen regieren und tun, was wir für richtig halten“. Mit der CDU könne es einen neuen Konsens in der Energiepolitik nur geben, wenn man sich zuvor auf „den kurzfristigst möglichen Ausstieg“ aus der Atomenergie einige, meinte Schröder. Erst danach sei auch eine Einigung über mögliche Schritte zur Endlagerung denkbar.
Der Regierung Albrecht warf Schröder vor, sich die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung durch Ausgleichszahlungen abkaufen lassen zu wollen. Ministerpräsident Albrecht hatte am Dienstag noch einmal Zahlungen des Bundes an Niedersachsen in der gleichen Höhe von einer Milliarde gefordert, wie sie Bayern für die Aufgabe des Standorts Wackersdorf erhalten soll. Am selben Tag verlangte allerdings die niedersächsische Finanzministerin Birgit Breuel Ausgleichszahlungen in Höhe von 60 Millionen DM jährlich. Die CDU-Regierung in Hannover macht die Wiederaufnahme des ausgesetzten Planfeststellungsverfahrens für Schacht Konrad weiterhin von einer Vereinbarung über diese Ausgleichszahlungen abhängig. „In jedem Fall“, so Albrecht in der vergangenen Woche, solle die Auslegung der Planfeststellungsunterlagen jedoch noch vor der niedersächsischen Landtagswahl in knapp einem Jahr erfolgen. Albrechts Forderung, in Gorleben und Konrad ausschließlich bundesdeutschen Atommüll einzulagern, wird in der deutsch-französischen Vereinbarung vom Dienstag nicht explizit entsprochen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Schröder glaubt, daß sich die Atommüll-Frage nun zu einem Hauptthema des kommenden niedersächsischen Landtagswahlkampfs entwickeln wird.
Unterdessen hat die bayerische Staatsregierung ebenfalls noch am Dienstag den Sofortvollzug für die erste atomrechtliche Teilgenehmigung der WAA aufgehoben und damit auch politisch einen Schlußstrich unter die Anlage gezogen. Der Landtagsabgeordnete der Grünen, Professor Armin Weiss, begrüßte diesen Schritt, verlangte aber von der Staatsregierung, „jetzt das WAA-Gelände zurückzukaufen und damit jede von ihr nicht gewollte nukleartechnische Nutzung auszuschließen“. Wie die Oberpfälzer Bürgerinitiativen befürchten auch die Grünen, daß das bereits fertiggestellte Eingangslager für abgebrannte Brennelemente in Wackersdorf später doch noch als atomares Zwischenlager genutzt werden könnte. „Es wird niemals eine Befriedung der Oberpfalz geben, wenn sich die Atomindustrie nicht zurückzieht“, kündigte BI-Sprecherin Irene Sturm an. Weiss nannte die von Siemens und dem Bayernwerk bekundete Absicht, eine Fabrik für großflächige Dünnschicht-Solarzellen zu errichten, einen „Schritt in die richtige Richtung“. Wegen des „unersetzlichen Trinkwasserreservoirs“ in der Bodenwöhrer Senke schlug er jedoch vor, die Anlage auf dem ehemaligen Betriebsgelände der Maxhütte-Haidhof zu errichten.
Die Bürgerinitiativen wollen der „Europäisierung der Atomwirtschaft“ eine „länderübergreifende Solidarität“ der Anti-AKW-Initiativen entgegensetzen. Dazu habe man bereits am Montag in La Hague eine „Anti-WAA/Anti-Atom -Partnerschaft“ ins Leben gerufen.
Der Vorsitzende des Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), Hubert Weinzierl, nannte das Ende von Wackersdorf den „Anfang einer menschlicheren Energiepolitik“. Die Verlagerung der Wiederaufarbeitung nach Frankreich bezeichnete er jedoch als „Verrat an der europäischen Idee.“
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