Herausfordernde Skepsis

Kirchentag in West-Berlin - Erwartungen für den Ost-West-Dialog?  ■ G A S T K O M M E N T A R

Die Kirchentage in der Bundesrepublik setzen für engagierte Christen in der DDR häufig Maßstäbe. Reden wurden ganz oder auszugsweise zitiert, Symbole westlicher Kirchentage tauchten früher oder später bei Veranstaltungen der DDR -Friedensbewegung auf, insbesondere die gesellschafts- und kirchenkritischen Foren und Werkstätten erfuhren besondere Aufmerksamkeit in der DDR. Nun findet ein Kirchentag statt, an dem Christen der DDR in gößerem Umfang als bisher teilnehmen können: Ost-West-Begegnungen in der geteilten Stadt, in der Stadt der Polizeieinsätze und friedliebenden Kirchenchöre. Der Kirchentag schließt von vornherein nicht aus, daß es zum notwendigen Erfahrungsaustausch kommen kann. Die unterschiedlichen gesellschaftlichen Konflikte in beiden deutschen Staaten werden mit Sicherheit nicht unter den Teppich gekehrt werden können. Kann man also hoffen, daß diese Gespräche wirken und Kontakte endlich genutzt werden, um Zusammenarbeit, gemeinsame Projekte und neue Verbindlichkeiten zwischen emanzipatorischen Christen Westdeutschlands und der DDR zu verabreden? Bisher sind allerdings die deutsch-deutschen Kirchenkontakte nicht über freundliche Interessiertheit hinausgegangen. Nach zehn Jahren kirchlicher Friedensbewegung in der DDR ist das wahrlich zu mager.

Für die Vorbereitung zum Westberliner Kirchentag haben die „Solidarische Kirche“, die „Kirche von unten“ und Jugendmitarbeiter der DDR-Kirchen die Möglichkeit versäumt, in der Vorbereitung deutlich ihre eigenen Anliegen und Interessen einzubringen. Ihre Wünsche und Absichten haben Delegierte und Besucher aus der DDR zu transportieren, die nur zu einem geringen Teil die Basisbewegung unterstützen.

Während eifrig und fröhlich der Kirchentag in Berlin West pulsierende Gemeinschaft verspricht, prallen Christen und Nicht-Christen in Berlin Ost mit den bekannten Sicherheitskräften zusammen, weil die 'Stimme der DDR‘ zum Terror in Peking nicht einmütig ist. Die propagandistische Feier über „die Niederschlagung der Konterrevolution“ in China verweist auf das methodische „Dialog„-Arsenal, das für die gewaltfreien demokratischen Bewegungen des Ostens in der Staatssicherheitspartei der DDR bereit liegt. Gottesdienste, Foren und Werkstattgespräche, Telefonate und Besuche über die Stadtgrenze hinweg und nicht zuletzt die große Friedensdemo zum Kirchentag am Wochenende sind Gelegenheit des solidarischen Dialogs und Handelns.

Skepsis, die herausfordern will, begleitet aber kirchliche Konferenzen und Großveranstaltungen. Gerade auch nach der Europäischen ökumenischen Versammlung in Basel zu Fragen des Friedens, der Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung ist nicht zu erwarten, daß christliche Glaubenshoffnungen auf gesellschaftliches Wirksamwerden drängen.

Lotte Templin, Gemeindepädagogin, Mitglied der DDR -Initiative Frieden und Menschenrechte, nach den Januarereignissen 1988 für zwei Jahre nach West-Berlin abgeschoben