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„Noch einen letzten“

■ Politische Premiere mit H. Pinter in Bremerhaven

„Bei der Untersuchung der türkischen Situation fand ich etwas heraus, das mir zwar schon in etwa bewußt war, aber von dessen Umfang ich keine Ahnung hatte: daß nämlich die türkischen Gefängnisse, in denen sich tausende politischer Gefangener befinden, zu den schlimmsten der Welt gehören.“ Nach einem Besuch in der Türkei schrieb Harold Pinter Anfang der 80er Jahre den Einakter „Noch einen letzten“ (One for the road), ein Manifest gegen die Folter, die nicht erst mit der unmittelbar physischen Gewalt beginnt, sondern mit der verletzenden, schneidenden, drohenden Sprache. In „Noch einen letzten“ werden die inhaftierten Mitglieder einer Familie offenbar wegen politischer Auflehnung verhört. Ein Mann, eine Frau, der siebenjährige Sohn. Sie sind dem Folterer Nicholas jeweils allein ausgeliefert. Dessen Folterwerkzeug ist die Sprache. Unberechenbar wechselt er den Tonfall, von freundlich-jovial bis eiskalt-zynisch. Während er einen Whisky nach dem anderen schluckt, verrät er sein Glaubensbekenntnis: „Hier bestimme ich. Gott spricht aus mir.“ Der einzige, dem er mit seiner tödlichen Rhetorik keine Angst machen kann, ist der Junge, der die Brutalität der Situation nicht begreift. Er bleibt, was er war, ein frecher Lümmel, der uniformierte Menschen nicht ausstehen kann. Am Ende des Stücks, als der Widerstand der Erwachsenen gebrochen ist, antwortet Nicholas auf die Frage nach dem Schicksal des Sohnes: „Er war ein kleines Arschloch.“

Hanno Wingler als Nicholas, Bernhard Koessler-Dirsch und Irmtraut Hetz spielen im offenen, schwarzen Bühnenraum zurückhaltend-vorsichtig, um überzogenes Pathos zu vermeiden. Der Junge auf der Bühne kann die Spannung nicht halten, er „spielt“ nicht die widerständige Kreatur, sondern hält seinen Auftritt für ein Spiel. Regisseur Klaus-Dieter Köhler hat dem Einakter ein 15-Minuten-Spiel Pinters vorangestellt, das im Oktober 1988 in London uraufgeführt wurde, und ebenfalls Haft und Folter zum Thema macht. In „Berg-Sprache“ besuchen Frauen ihre inhaftierten Ehe-Männer und Söhne. Sie kommen vom Land (aus den Bergen), und einige sprechen nicht die Sprache der Städter, die auch die Sprache des Gefängnispersonals ist. Sie werden angeschrien und gedemütigt.

„Berg-Sprache“ ist eine Szenen-Montage zum Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte. Harold Pinter als politischer Autor. Ein sehenswerter Versuch, den das Bremerhavener Stadttheater hoffentlich nicht sofort wieder aufgibt, sondern auch nach der Sommerpause - und sei es zu politischen Anlässen - ins Programm nimmt. Was der Magistrat der Stadt vor drei Jahren nicht gestatten wollte Informationen der Südafrika-Gruppe zu Athol Fugards Stück „Die Insel“ - jetzt ist es möglich: Amnesty International begleitet die Aufführungen im Stadttheater mit einem Informationsstand.

hh

Nächste Termine: 8., 14.6.,20h

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