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Keine Angst vor Europa

■ Ulrich Fink, CDA-Bundesvorsitzender bewahrte 50 Bremer Christ-Arbeitnehmer vor verdientem Tiefschlaf

Bremens oberster christdemokra tischer Arbeitnehmer, Heinz Thiele, muß es schon geahnt haben: Die erste Hälfte der Tagesordnungspunkte bei der Jahresversammlung der Bremer CDA am Mittwochabend war so sterbenslangweilig, daß selbst altgedienten CDA-Kämpen erklärt werden mußte, warum sie zu einer „außerordentlichen Jahrestagung“ gebeten waren. „Außerordentlich“, rechtfertigte Thiele das Einladungsschreiben, sei in der Tat nur eines: Üblicherweise reicht es Bremens christemokratischen Arbeitsnehmern, wenn sie sich alle zwei Jahre sehen. In diesem Fall lag das letzte Treffen gerade man ein Jahr zurück. Aha, deshalb „außerordentlich“.

Außerordentlich allerdings auch der Besuch, der den eingetragenen Arbeitnehmervertretern der Bremer CDU avisiert war. Aufklärung über das Europa der Zukunft durch ihren Bundesvorsitzenden höchstselbst, den ehemaligen Berliner Senator, CDU-Linksaußen und Gauweiler-Gegner, Ulf Fink, war versprochen. Und der ließ sich erst entschuldigen und dann auf sich warten.

Hinreichend Gelegenheit also für die rund 50 Versammelten, im holzvertäfelten, blumenstillebengezierten „Großen Frühstücksraum“ eines Bremer Hotels schwarzrotgoldene Aufkleber zu pulen, die ein national-pädagogischer Graphiker mit dem hilfreichen Hinweis „hier oben“ versehen hatte, und daumennagelgroße Sonnenbrillchen an die Anzugrevers zu heften, deren christdemokratische Symbolik allerdings selbst langjährigen CDU-Mitgliedern dunkel blieb. Dazu CDU -Broschüren, CDU-Kulis, CDU-Bleistifte und Bier und Kaffee auf CDU-Rechnung. Wer mitnahm, was geboten wurde, brauchte sein Kommen wahrlich nicht zu bereuen.

Geboten wurde bis zur Ankunft des Vorsitzenden aber auch ein „Grundsatzreferat“ des Bremer CDA-Chefs, Heinz Thiele. Der ist nun, weiß Gott, bei aller leise-leiernder Langweile ein prinzipienfester Rhetoriker, und sagt das auch im zweiten Satz. „Im Prinzip“ habe die CDU aus den letzten Wahlniederlagen die rich

tigen Konsequenzen gezogen und in Bremen mit Peter Kudella „im Prinzip“ den richtigen, weil CDA-Mann, an die Fraktionsspitze gewählt, wenn man ihm natürlich „im Prinzip“ auf die Finger gucken müsse. „Im Prinzip“ sei schließlich völlig unverständlich, daß die SPD in Bremen „im Prinzip“ noch mit „satter Mehrheit“ an der Macht sei. Daß irgendjemand die geringste Lust verspüren könne, seine Grundsatzbemerkungen zu diskutieren, unterstellte der CDA -Chef übrigens sowieso nicht. Thiele wußte auch so, was „wir als CDA“ meinen, denken, fordern. Ganz folgerichtig also fiel der Tagesordnunsgpunkt „Aussprache“ mangels Ausprechbarem aus. Nach einem Jahr und diesem Referat fiel wirklich niemandem mehr was ein.

Gut also, daß er nun endlich und mit eineinhalbstündiger Verspätung kam und die von Morpheus‘ Armen schon sanft berührten Arbeitnehmervertreter zu einer Reise ins große, weite Europa einlud. Ein Europa „für alle Schichten“ und nicht für die

Märkte und Konzerne soll es werden, wenn es nach dem CDA -Vorsitzenden geht.

Anders als sein Bremer Statthalter beschränkte der CDA -Bundeschef sich nicht auf die zustimmungsheischende Verkündung von Gemeinplätzen, sondern legte seiner Grundsatz -Rede das entgegengesetzte rhetorische Muster unter. Sein Prinzip: Die Klischees der Europa-Skeptiker mutig benennen, um sie zu entkräften. Kostet der europäische Binnenmarkt also deutsche Arbeitnehmerrechte und -löhne? Fink meint: Nein. Denn die deutsche Industrie wird auch nach 1992 besser zahlen und sich Mitbestimmung leisten können. Denn der „Exportweltmeister Bundesrepublik“ wird dank Europa neue Märkte finden und durch erhöhte Produktivität halten können. Wird das neue Europa ein Europa der Konzerne und Fusionen? Fink meint: Wiederum nein. Denn Größe allein ist kein Kriterium für Konkurrenzfähigkeit. Auch wenn der CDA -Vorsitzende ein entschiedener Gegner der Fusion von MBB und

Daimler ist - das deutsche „Nachkriegs-Wirtschafswunder“ habe bewiesen, daß mittelständische Unternehmen auch auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind. Wird das neue Europa mit dem Verzicht auf Arbeitnehmerschutzrechte erkauft? Auch diesmal: Nein. Denn erstens werde die Bundesregierung schon für „soziale Flankierung“ des gemeinsamen Binnenmarkts sorgen. Und zweitens: Jugend-, Mutter-, Kündigungsschutz, weiß Fink, sind nicht nur Kostenfaktoren, sondern auch Garanten einer funktionierenden Sozialpartnerschaft und damit der Kalkulierbarkeit. Angst schien Fink nur vor einem zu haben: Vor einem Europa der Fremden-und Ausländerfeindlichkeit. Sein Bekenntnis: Mit uns darf es so etwas nicht geben. „Christliche Demokraten haben bei den Nazis nicht im Gefängnis gesessen, damit ihre Nachfahren Pakte mit ausländerfeindlichen Radikalen schließen. Mit nationalistischen Rattenfängern a la Republikaner und DVU wollen wir nichts zu schaffen haben.“

K.S.

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