piwik no script img

Die erste Frau auf deutschen Schienen

■ Endlich: Die Bahn wird romantisch und tauft ihren neuen IC „Bettina von Arnim“

Die Sonne schien gratis. Die Bundesbahn hatte sich den Festakt etwas kosten lassen. Eine Kapelle spielte auf, ein Rednerpult war aufgebaut, Sektgläser standen bereit und ein Blumenarrangement in den Hamburger Farben Rot und Weiß schmückte den Bahnsteig 1 in Hamburg-Altona. Stolz schritten die Herren von der Bundesbahndirektion auf und ab, zufrieden mit ihrem Beitrag zur Emanzipation der Frau: die Taufe eines Intercity-Zuges auf den Namen einer Frau.

Bei der Bundesbahn war es lange Zeit mittelalterlich zugegangen. „Riemenschneider“, „Jakob Fugger“, „Karolinger“ oder „Albrecht Dürer“, man hatte Bildung bewiesen bei der Benennung der Züge und stets tief in das Schatzkästlein der Geschichte gegriffen. Und manchmal waren die Herren von der Bahn auch poetisch geworden: „Blauer Enzian“, „Toller Bomberg“ oder „Schwabenpfeil“ hießen die Wortschöpfungen.

Ernst Heinz Wenk, Vizepräsident der Bundesbahndirektion Hamburg, gab sich denn auch „zerknirscht“: „Bei unseren männlichen Zügen mit ihren männlichen Namen hat sich lange Zeit niemand etwas Schlimmes gedacht.“ Erst durch die Fahrgäste sei man darauf gekommen, daß es auch noch Frauennamen gäbe. „Schließlich sind Frauen ja mindestens genauso selbstverständlich wie Männer. Allermindestens!“ scherzte der Vize.

Ein Zug von über 250 wird also in Zukunft den Namen einer Frau tragen. „Bettina von Arnim“ heißt das Unikat. Damit liegen die Eisenbahner ganz im Trend. Nach Bundespost und Bundesbank legen auch sie sich für die Frau ins Zeug. Wie in jeder richtigen Familie gibt es auch unter den drei Bundesschwestern - (Post, Bank und Bahn sind weiblich!) Gerangel um den ersten Platz. Während sich die Bundesbank mit Bettina von Arnim ein billiges Vergnügen macht und mit deren Portrait den kleinsten, den neuen Fünf-Mark-Schein ziert, läßt sich die Bahn nicht lumpen. Der IC 819 Bettina von Arnim fährt auf einer gewichtigen Strecke: von Hamburg über Köln und Stuttgart nach München.

Zum Taufakt hatte die Bahn noch eine besondere Überraschung parat und eine Nachfahrin Bettina von Arnims aufgespürt: die in Südfrankreich lebende Malerin gleichen Namens. Sie, Bettine von Arnim die Jüngere, nahm den eigentlichen Taufakt vor und benetzte die stählerne Vorfahrin mit sonnenwarmem Sekt. Und dann konnte es losgehen mit der Jungfernfahrt.

„O, welche schwere Verdammnis, die angeschaffnen Flügel nicht bewegen zu können... O Sklavenzeit, in der ich geboren bin“, schrieb Bettina von Arnim 1803 an ihren Bruder Clemens Brentano. Wenn sie allein ohne Mann oder Anstandsdame reisen wollte, mußte sie Männerkleidung tragen. Sie war eine exzentrische Frau und sehr selbstbewußt, viel selbstbewußter als ihr Bruder Clemens. Anders als er nahm Bettine, wie sie sich selbst gern nannte, bis ins hohe Alter auch zu politischen Fragen Stellung: Sie verfaßte Aufrufe gegen die Unterdrückung des polnischen Volkes, nahm Partei für die Juden und niederen Stände und sprach sich gegen Zensur und für die Freilassung politischer Gefangener aus. Dazu schrieb sie Hunderte von hinreißenden Briefen, aus denen später ihre Briefromane entstanden. Diese zu ihrer Zeit unbequeme Frau soll „uns Heutigen Vorbild sein“, hieß es in der Rede des Vizepräsidenten Ernst Heinz Wenk. Ein Lippenbekenntnis, oder wußten die Herren von der Bundesbahndirektion, auf was sie sich eingelassen haben? Der Pfiff des Schaffners jedenfalls geriet mehr als kläglich. Vielleicht ahnte er, daß es nicht ausreicht, sich einem Trend nur anzuschließen. „Bettina von Arnim“ ist nur der Anfang, es soll weitere Intercitys mit weiblichem Namen geben. Also Achtung: Trittbrettfahren ist nicht erwünscht. Die Zukunft der Züge ist weiblich.

Heide Soltau

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen