: Die Doctor's Horror Mixture Show
Die weltweit größte Ausstellung der Krankenhausindustrie hat in Hannover ihre Pforten geöffnet / Ein Gang durch die Hallen der „Interhospital“ / Die Klinik der Zukunft: Monitore über Monitore / Tüftler präsentierten ihre neuesten Ideen zum Rütteln, Schütteln und Durchbiegen der Patienten ■ Von Ulli Kulke
Vor dem Messebesuch schnell noch eine Bratwurst. Schön knusprig sehen sie aus, die langen „Roten“, wie sie hinterm Imbißtresen auf den Stahlstangen elektrisch gewendet werden, damit sie nicht schwarz werden. Mit der Bratwurst in der Hand streift dann der Blick von den rotierenden Stangen zum Nachbarn, der sich interessiert in seine Messeunterlagen vertieft. Ein Prospekt scheint es diesem Fachmann angetan zu haben: „Der Patientenwender (vollautomatisch)“. Na bitte, ein letzter Bissen wird noch heruntergewürgt, der Rest wandert in die Tonne, die Spannung steigt - hereinspaziert in die „Interhospital 89“, der alle zwei Jahre stattfindenden Doctor's Horror Mixture Show, diesmal auf Hannovers Messegelände. Mit angehängtem „15.Deutschen Krankenhaustag“ unter dem Motto „Auf dem Weg zum Krankenhaus 2.000“ soll hier die Branche promotet werden. Fast unnötig, denn die Parole „Ja, ja, wir steigern das Bruttosozialprodukt“ gilt für die medizinisch-technische Industrie noch allemal, trotz oder gerade wegen der angepeilten Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen.
Halle 13 ist der Ort fürs Handfeste. Hier stellen jene Tüftler - überproportional aus dem emsigen süddeutschen Raum - aus, die da meinen, sie haben jetzt die ideale Liegestatt zum Patientendurchbiegen, den besten Rückenschüttler oder auch die optimale Apparatur zum kombinierten Fuß- und Kniebeugen nach operativen Eingriffen erfunden Anschnallgurte allenthalben, um sich hilflos den Gerätschaften ausliefern zu können.
Medizinische Fachkräfte sind bei den Herstellern dieser Krankenwerkzeuge allerdings in den seltensten Fällen auf den Gehaltslisten. Da geht den Werbern am Stand dann auch schon mal die nötige Sensibilität ab, wenn sie den fachunkundigen Journalisten auf ihre Massagebank locken wollen: „Wir bringen Ihre Bandscheibenschäden wieder voll in Ordnung, weil wir mit unserem Gerät mitten in die Wirbelsäule eindringen, noch hinter ihren natürlichen Schutzring“ - hier half nur die eilige Flucht. Auch die besänftigenden Worte seines Firmen-Kompagnons, der mal ein paar Semester Medizin belegt hatte, konnten da nicht mehr verfangen: „Was hat der Ihnen erzählt? Alles Quatsch. Das läuft alles ganz schonend. Nur daß wir es den Patienten damit ersparen, daß sie zur Massage kopfüber aufgehängt werden müssen“ - immerhin.
Was derweil draußen in der Sonne abläuft, könnte aus Hollywood kommen, unter dem Titel „The crazy Hospital“: Hospita Saeger bittet zur Modenschau. Im Marschschritt und zu „Don't worry, be happy“ führen Anne, Lotte und Eva breit grinsend die Heilstätten-Mode für die Neunziger vor: „Modell Conny, thermofixierte Prozeßnähte, superwaschgerecht und trotzdem voll im Modetrend.“ Bevor dann zum Soundtrack der Schwarzwaldklinik den Massen von Krankenschwestern der Kasak „Marion“ vorgetänzelt wird, dann doch lieber in die Halle 16 zur Tuttlinger Firma, die den Besuchern bereitwillig demonstriert, wie ihre kleinsten Titanschrauben beim Schädelbruch in die Hirnschalen gejagt werden. Die entsprechenden Videos, die in Dr.Mabuses Diensträumen aufgenommen sein könnten, verdienen das Prädikat: „besonders hart“ - für Laien nicht zu empfehlen.
Die Besucherinnen mit schwarzen Käppchen und langer Tracht zeigten, wo ihr Reich in den Krankenanstalten vor allem ist. Heerscharen konfessioneller Schwestern zogen durch die Halle 6. Weil's so schön zusammenpaßte, waren hier „Ver- und Entsorgung“ des Krankenhausbetriebes vereint. Da stand dann die Konservendose für den Großkücheneinsatz neben der „Stichpfanne“ für die Entsorgung.
Sie alle, die Hersteller von Urinbeuteln, seitlich aufklappbaren Badewannen, Kondom-Kanülen, Kranken-Kippladen und dergleichen mehr liegen momentan weit über dem Trend der allgemeinen Hochkonjunktur. Und wider die Vernunft geht das für 1989 zehnprozentige Wachstum dieser Reparaturbranche voll in die Berechnung des Wohlstandes der Republik ein: um 40 Prozent mehr Aussteller als 1985, ein knappes Viertel mehr Besucher. Jenseits der mittelständischen Tüftlerfirmen werden indes mehr und mehr die Großen mit ihren Zukunftstechnologien auf den Einkaufslisten der Krankenhausmanager stehen. Dies gilt insbesondere, wenn die Gesundheitsreform die Richtung einschlägt, die der Vorsitzende des Ausstellungsausschusses der Interhospital, Sönke Vogel, fordert: Die Krankenhäuser sollen sich künftig bei der Behandlung von Otto-Normalpatient kompletter Preiskonkurrenz unterwerfen.
Dann ist Software für die Schichtdienstplanung mehr denn je gefragt, und Nixdorf wird noch größer herauskommen mit seinem Angebot zur Integrierten Datenverarbeitung im Krankenhaus. IBM schließlich bringt es auf den Punkt, was man sich in den Heilanstalten der Welt erhofft: „Kerngesunde Informationsverarbeitung“. Das Krankenhaus von morgen wird vor allem mit einem bestückt sein: Monitore. So wie vor Jahren die integrierte elektronische Analyse diverser Wehwehchen am Automobil die manuelle Untersuchung und Inaugenscheinnahme ersetzt hat, so wird demnächst der prüfende Fingerdruck des Arztes auf den Bauch des Patienten im Krankenbett überflüssig werden. Die Frage: „Wo drückt's denn?“ wird nicht mehr der Kranke beantworten, sondern der Fernsehschirm.
Eine Berliner Herstellerfirma will die alten Zeiten überwinden, da der Patient nach Gelenkoperationen noch mitdenken und -fühlen mußte: „Patienten, die ihre Beine nur teilweise belasten dürfen, waren bisher auf gefühlsmäßige Kontrolle angewiesen.“ Heute ist das anders. Eine Einlegesohle mit entsprechender mobiler Elektronik liefert nunmehr die nötigen Rückmeldungen. Nixdorf will mit der Patientendatenverwaltung nicht nur die Befund- und Ergebnisübermittlung bewältigen, sondern daraus auch gleich die Anforderungen von Speisen und Medikamenten ableiten. Die gute alte Krankenhausapotheke kann dann wohl auch in die „Just-in-Time„-Lagerung überführt werden.
Aber auch die Patienten sollen den Blick auf ihren Monitor nicht missen müssen. Die Bitte an den Krankenpfleger, doch zum Fußball-Länderspiel einen Fernseher aufzutreiben, wird überflüssig; stattdessen: umfassende Münzfernsehanlagen mit telefonischer Bedienung - auch eine Möglichkeit für die Verwaltungen, ihre bedrängten Etats aufzupeppen, zudem der erste Grundstock für die interne Krankenhauskomunikation per Bildtelefon.
Die Digitalisierung im Heilungsprozeß entspricht nicht unbedingt dem, was sich die Patienten, um die es eigentlich gehen sollte, unter ihrem Klinikaufenthalt vorstellen, das haben die Strategen erkannt. So bemüht sich Professor Hermann Hoffmann in einer Messezeitung recht gequält, die humanen Seiten des Krankenhauses 2.000 herauszustellen und argumentiert, „daß der Einsatz der Technik vielfach Zeitersparnis bedeutet, Zeit für die Kontakte und Gespräche, die der Patient mit seinem Arzt, mit seiner Schwester, mit seinem Pfleger erwartet“.
Die bisherige Entwicklung der patientenfeindlichen Rationalisierung hin zum seelenlosen Krankenhaus straft den Professor Lügen. Es ist auch nicht recht einzusehen, wie unter der erträumten verschärften Preis-Leistungs-Konkurrenz der Krankenhäuser untereinander im Sinne der Kostendämpfung der Zug in Richtung mehr Menschlichkeit abfahren sollte. Das wird wohl erst dann möglich sein, wenn Siemens oder Nixdorf entsprechende Software entwickelt haben, mit der die Psyche der Bettlägerigen digital erfaßt und direkt in entsprechende Gesprächswünsche ans Stationszimmer umgewandelt wird. Bis dahin wird die neue Technik wohl erst darauf hinauslaufen, daß der „Patientenwender (automatisch)“ gleichzeitig fünf Wendebedürftige anstatt einem bewältigen kann.
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