: IGNORANTEN
■ Studie der Uni Wuppertal wider die Agitation gegen das Trampen
Zwischen den Chefetagen des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Landeskriminalamtes (LKA) Baden-Württembergs in Stuttgart ist ein heftiger Streit darüber entbrannt, mit welcher Strategie man in Zukunft dem „Deliktbereich Trampen“ entgegentritt.
Für die Kripo seit Jahren eine klare Sache: JedeR TramperIn hat seinen potentiellen Mörder. Autostopp müßte verboten werden. Doch verbieten, daß Fahrzeugführer ihre ohnehin freien Plätze mobilitätssuchenden Anhaltern überlassen, konnte man nicht. So beschränkte sich die von der ständigen Innenministerkonferenz (IMK) autorisierte baden -württembergische Polizeiführung auf bundeseinheitliche „Prävention“ in Form der Kampagne „Stopp dem Autostopp“, die durch Drohung vor einer übermächtigen Sexualkriminalität jugendliche TramperInnen zur Resignation und Eltern zu rigorosen Erziehungsmaßnahmen führen soll.
Der Stein des Anstoßes ist nun eine Studie der Universität Wuppertal. Deren Ergebnis: Die bisherige polizeiliche Agitation gegen Trampen, besonders in der Beurteilung des Gefahrenpotentials, ist falsch. Die Forschungsgelder für diese Studie kamen vom BKA. BKA-Psychologe Michael Baurmann war das Fehlen jeder „empirischen Basis“ und die Stützung auf Mutmaßungen bei der bisherigen Kampagne schon lange ein Dorn im Auge. 1983 strengte er eigene Untersuchungen an. Mit dem Ergebnis: Sexualverbrechen geschehen beim Trampen wesentlich seltener als allerseits propagiert.
Der Kontakt zur Uni Wuppertal entstand, als die dortigen Verkehrsforscher mit ihrem Projekt „Zusteiger Mitnahme“ öffentlich unterstütztes Trampen zur Ergänzung des Nahverkehrssystems - Schlagzeilen machten. Daß das Projekt damals scheiterte, „lag am katastrophalen Image des Trampens in der Bevölkerung“, wie Tramp-Forscher Rolf Hoppe berichtet.
Ein Besuch des Bundesvertreters der Projektleitung, Prof.Edwin Kube, an der Wupper machte alles klar. 84.000 Mark Steuergelder mußte das BKA berappen. Das Uni-Projekt konnte losgehen. Doch schon zu Beginn wurden den Wissenschaftlern Steine in den Weg gelegt. Mit der Genehmigung einer Schülerbefragung ließ man sich im Stuttgarter Kultusministerium derart lange Zeit, daß „wir zwangsläufig ins Saarland gehen mußten“.
Der ADAC weigerte sich, Hoppes Aufruf „Tramper gesucht“ in der clubeigenen 'Motorwelt‘ abzudrucken, es sei denn, man könne die publizitätsträchtigen Daten als erster veröffentlichen.
Auch ohne die Gefälligkeit des Acht-Millionen-Clubs lag die 200 Seiten starke Studie Ende 1988 in Wiesbaden vor. Die Ergebnisse waren so überraschend, daß man beschloß, diese umgehend der Öffentlichkeit bekanntzugeben. Für Februar 1989 wurde eine Pressekonferenz in Aussicht gestellt. Im festen Glauben, sich mit den Daten schmücken zu können, entschied sich BKA-Präsident Boge dazu, die Laudatio selbst zu halten. Doch der hatte die Rechnung ohne Landespolizeipräsident Alfred Stümper und dessen Geschäftsführer Wolfgang Schimpeler gemacht. Zur Januartagung der Projektleitung in Würzburg hatte BKA-Kube nicht nur die komplette Studie im Gepäck, an seiner Seite weilten außerdem die Wuppertaler Tramp-Experten Professor Joachim Fiedler und Sozialwissenschaftler Hoppe. Der anderthalbstündige Vortrag lag den LKA-Vertretern mehr als schwer im Magen. Eine Studie, die ihre Arbeit der letzten zehn Jahre auf dem Gebiet des Anhalterwesens als „einseitig, undifferenziert“ und mit dem Stigma des Unsinns belegte, das war unannehmbar.
Um das Gesicht nicht vollends zu verlieren, wählten die Präventionsprofis aus Stuttgart den Absprung vom sinkenden Schiff. Man hatte den Forschungsauftrag zwar mit angeregt, als Finanzier aber war ausschließlich das BKA öffentlich hervorgetreten. Aber damit nicht genug. Stümper gab demonstrativ die Auslieferung des altbekannten, angstschürenden Kripo-Faltblattes bekannt, schließlich sei es gedruckt und die Anti-Tramp-Kampagne '89 stehe an. Da sah man sich im BKA dem Pressegewitter offen ausgesetzt. Die Pressekonferenz wurde kurzerhand gekippt.
Seit Mai ist es nun wieder in jeder Polizeiwache zu lesen: „Viele junge Leute glauben, Trampen sei die billigste Art des Reisens. Doch Tatsachen sind: Auch das Trampen mit Ehepaaren ist ein Glücksspiel. Herr Z. vergewaltigte die 18jährige Angelika K., während seine Frau zusah. Auch für männliche Tramper gibt es keinen Schutz, denn Stefan R. wurde mit einem Springmesser zu homosexuellen Handlungen gezwungen. Es gibt keine teurere Art des Reisens.“
Obwohl LKA-Schimpeler offen zugibt, daß diese Darstellung „Furcht verbreitet“, sieht Stümper keinen Anlaß für eine „Sonnenscheindarstellung“, denn der einzig entscheidende Punkt, so Stümper, „ist, daß die Wuppertaler Studie ja auch nicht sagt, daß keine Gefahren vom Trampen ausgehen. Wir sind doch keine Ignoranten!“ Ein Standpunkt, in dem Hoppe eine Rechtfertigung für Täter sieht und der Trampen zu Unrecht verteufele. Beim Trampen passiere relativ wenig, da sei das Risiko, im eigenen Bekannten- oder Verwandtenkreis Opfer eines Sexualverbrechens zu werden, wesentlich höher.
Im BKA hat man sich inzwischen zu einer Veröffentlichung der Studie durchgerungen. Sie wird ab Juli in Expertenkreisen kursieren, mit einer Auflage von 1.500 Exemplaren. Aber erst in den nächsten Jahren rechnet Kube mit einer Umsetzung in die aufklärende Praxis.
Hermann Rheindorf
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