JUNGFRÄULICH IN DIE REISSVERSCHLUSSFABRIK

■ Das Bild der Frau in sechs arabischen Filmen aus der „Horizonte„-Filmreihe

Was da freundlich als „Mythos des Orients“ bezeichnet wird, könnte man auch schlicht und einfach Verkennung und Wunschdenken nennen. Die Horizonte-Ausstellung im Martin -Gropius-Bau strotzt von süffig-schwülstigen Gemälden des 19.Jahrhunderts, auf denen sich die männliche Phantasie mit dem Pinsel Befriedigung verschafft. Neben den immer wiederkehrenden Standardthemen wie „Im türkischen Bad“, das nie gesehen, aber häufig gemalt wurde, läßt besonders F.Chormons Haremsdarstellung mit der Variante „Eifersucht im Serail“ tief blicken. Schaurig-schön ist sie anzusehen, die selbstverständlich nackte Leiche der ungewöhnlich hellhaarigen, europäisierten Araberin, hingestreckt auf das kostbare Kissen, mit einer pittoresk-blutigen Stichwunde unterhalb des Busens. Wie schmeichelhaft für das männliche Ego anzunehmen, unter mehreren Frauen in einem Harem würde es um den Einzigen, den Mann, zu solch leidenschaftlichen Szenen der Eifersucht kommen.

Der algerische Film „El-Kalaa“ (Die Zitadelle) von Mohamed Chouikh, 1988 gedreht und nach dem Erfolg bei der Berlinale jetzt im „Kino der arabischen Länder“ im Arsenal gezeigt, berichtet ganz anderes über Mann und Frau unter den Lebensbedingungen des polygamen Patriarchats (zu sehen am 24.6. um 22.15Uhr und am 25.6. um 20Uhr). Kaddour, der einzige unverheiratete junge Mann in diesem abgelegenen algerischen Dorf, verteilt unter den Frauen und Kindern seines Adoptivvaters Sidi die Blechkannen mit der Morgenmilch. Ihm öffnen sich die nebeneinanderliegenden Türen im Innenhof des Hauses. Erst einmal stürzt eine Schar von Kindern heraus, dann blicken wir in die Gesichter der Frauen. Durch Kaddour, den Adoptivsohn, wird ein unverstellter Blick in den Harem (das Verbotene), die Frauenabteilung in einem mohammedanischen Haus, möglich. Er, der Außenseiter in dieser Gesellschaft, in der es kein gemeinsames öffentliches Leben von Männern und Frauen gibt, kann durch seine Position von der Lebens- und Arbeitsgemeinschaft der Frauen berichten. In „El-Kalaa“ wird deutlich, daß die Frauen, die unter diesen Ehen des polygamen Patriarchats leiden - der Koran erlaubt es einem Mann, bis zu vier Frauen zu heiraten - die Härte der Situation durch Solidarität innerhalb der Frauengemeinschaft zu bewältigen suchen. Das liegt schon deshalb nahe, weil die Ehen keine Liebesheiraten im europäischen Sinne sind, sondern sich auf ein Arbeits- und Unterdrückungsverhältnis reduzieren lassen. Der Patriarch sitzt im Cafe und palavert dort mit den anderen Dorfältesten, während die Frauen gemeinsam arbeiten, Teppiche knüpfen oder im Innenhof Speisen für den ganzen Haushalt zubereiten. Was „El-Kalaa“ zu einem Meisterwerk macht, ist die kluge Wahl der Außenseiter-Perspektive auf die Lebensbedingungen von Frauen im heutigen Algerien. Dieser Blick und die stilsichere Ästhetik dieses schön fotografierten Films ermöglichen es, scheinbar objektiv die aufgestauten Gefühle der Ohnmacht, aber auch die Aggression dieser Frauen wahrzunehmen.

Auch in „Sama“ (Die Spur, am 26.6. um 22.15Uhr und am 30.6. um 20Uhr) steht das Leben der orientalischen Frau im Mittelpunkt. Allerdings wählt Nejia Ben Mabrouk, eine der ganz wenigen Filmemacherinnen aus den Ländern des Meghreb (Marokko, Algerien und Tunesien) einen ganz anderen Weg. Ihre Hauptdarstellerin Sabra hat sich im heutigen Tunesien ganz allein auf den Weg gemacht, verläßt erst ihr Dorf, um in Tunis zu studieren, und geht am Ende des Films wie ihre Brüder ins Ausland. Für Sabra hat sich nicht einmal als Studentin Virginia Woolfs Forderung, „ein Zimmer für sich allein“ zu haben, erfüllt. Der Film zeigt darüber hinaus, daß diese Ortlosigkeit der studierenden Frau in der Metropole des Landes nicht nur eine äußere des Lebensraumes ist, sondern sich auch im gleichen Maße in einer Fremdheit im eigenen Körper niederschlägt. In einer Schlüsselszene zeigt der Film den ambivalenten Bund zwischen Mutter und Tochter. Hat die Mutter Sabra gehen lassen, damit sie einmal nicht so hart an Unterdrückung, Unwissenheit und Rechtlosigkeit zu leiden habe, so nimmt sie ihr durch ein symbolisches Pfand das Versprechen ab, die Jungfräulichkeit zu bewahren. Der Tochter wird ein eigener, weiblicher Körper abgesprochen. In dieser Phase der Emanzipation ist der Preis für die Unabhängigkeit der Frau klar definiert: Triebverzicht.

„Aziza“, 1980 in Tunesien/Algerien produziert, zeigt einen ähnlichen Schritt aus einer anderen Perspektive (am 26.6. um 20Uhr und am 30.6. um 22.15Uhr). Schon mit dem Umzug in die Neubauwohnung am Stadtrand von Tunis beginnt der Zerfall der ohnehin provisorischen Familienbande. Der alte Onkel, der sich der Waise Aziza angenommen hat, verkraftet die Entwurzelung nicht und stirbt in einem Krankenhaus, während der Cousin Ali, von Beruf Taugenichts, Bluffer und Geschäftsmann, eine peinliche Schlappe nach der anderen erlebt und so den Erlös des väterlichen Hauses durchbringt. Nur Aziza unterscheidet sich von der tschechowschen Personage, ihr dämmert, daß sie ihre alte Position der dienenden Waise nur dann mit einer Unabhängigkeit von Männern wie Ali vertauschen kann, wenn sie ökonomisch auf eigenen Füßen steht und jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe mit dem Bus zu ihrem Niedriglohnarbeitsplatz in die Reißverschlußfabrik fährt.

Auch der Schwarz-Weiß-Film „El Faham“ (Der Köhler, am 13.6. um 18Uhr) endet am Arbeitsplatz in einer Fabrik mit dem Ablegen des Schleiers. Allerdings ist diese Entscheidung nicht als Ergebnis eines explizit weiblichen Emanzipationsprozesses angelegt, sondern aus dem konkreten Druck der wirtschaftlichen Verhältnisse entstanden. In ruhigen Einstellungen wird gezeigt, wie die althergebrachte Lebensform der Köhlerfamilie aussah - bis ein Lastwagen mit Butangas auf den Marktplatz fährt und den Köhler arbeitslos macht. In diesem algerischen Film von 1973 scheint der Modernisierungsprozeß die Emanzipation der Frau von der Abhängigkeit der Familie in die Abhängigkeit der Arbeitnehmerin fast automatisch nach sich zu ziehen.

Die traditionelle Version, den sozialen „Aufstieg“ zu erreichen, zeigt der tunesische Schwarz-Weiß-Film von 1978 „Al Irs“ (Die Hochzeit, am 16.6. um 18Uhr), eine Gemeinschaftsarbeit einer Theatergruppe. Der Streit von Sarra und Fatah spielt in ihrer Hochzeitsnacht und dreht sich wesentlich um zwei Konflikte. Sarra versucht durch diese Hochzeit ihre soziale Lage zu verbessern, nimmt sich aber beim Hochzeitsessen provozierende Vertraulichkeiten mit dem Freund und Financier ihres Mannes heraus. Fatah, der geduckte Kleinbürger par excellence, verheimlicht ihr den unmittelbar bevorstehenden Abriß des väterlichen Hauses, dessen reizvolle labyrinthische Gänge und Zimmer im Laufe des Films immer mehr in sich zusammenfallen. In dieser theatralischen und überdrehten Inszenierung scheint mit ein grundsätzliches Charakteristikum in den Mann-Frau -Beziehungen des arabischen Films auf die Spitze getrieben zu sein. In der atemlosen, verzweifelten arabischen Hochzeitsnacht wird klar: Es gibt kein Gespräch zwischen Mann und Frau. Entweder herrscht hartes Schweigen, oder die Beteiligten schreien sich in expressiven Tiraden, die Frauen in meist ausufernder und melodiöser Weise an, die jede Rede zumindest für den europäischen Zuschauer zum lebensbedrohlichen Nahkampf mit verbalen Kurzstreckenwaffen macht.

Doch der europäische Blick hinter den Schleier bleibt ein widersprüchlicher. In dem 1982 entstandenen Film „La Zerda und die Gesänge des Vergessens“, mit dem die Reihe des arabischen Kinos eröffnet wurde, verwendet die algerische Schriftstellerin Assia Djebar altes, dokumentarisches Filmmaterial aus den Jahren 1912 bis 1942, das die Kolonialgeschichte der Länder des Maghreb in den Nebenhandlungen des Alltags konserviert. Die Autorin konfrontiert diese alten Filmbilder mit der Lyrik ihres arabischen Gesangs und widersetzt sich so dem fremden „Blick, der tötet“. Sie schreibt: „Trotz ihrer Bilder haben wir, ausgehend von dem, was außerhalb der Schußweite ihres Blicks lag, versucht, andere Bilder hervorzuheben. Fetzen einer verachteten Alltäglichkeit. Vor allem sind hinter dem Schleier dieser Realität anonyme Stimmen erwacht, aufgenommen oder wiedererfunden, die Seele des vereinigten Maghreb und unserer Vergangenheit.“

Susanne Raubold

„Die besten Filme des Maghreb“, bis 30.Juni im Arsenal im Rahmen von „Horizonte '89“.