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Ein Präsident, den keiner kennt

■ In laschen Fußballzeiten sorgt Blau-Weiß für einen Lacher

Fußballfunktionäre und Vereinsmitglieder gelten gemeinhin als bieder, langweilig, verstaubt. Doch während momentan sogar der ungewöhnlich heiß umkämpfte Auf- und Abstieg in beiden Ligen kaum noch jemand von den Sitzen reißt, sorgen die Funktionäre für Stimmung im Fußballvolk. Nach der Fehlzündung der sogenannten Liga-Reform des Herrn Mayer -Vorfelder, Boß beim VfB Stuttgart und offiziell im „Ländle“ für Kultur zuständig, wollten die Berliner nicht zurückstehen und haben sich ihre ganz eigene Posse ausgedacht.

Und das kam so. 21 lange Jahre regierte der weise Manfred Kursawa als Vorsitzender den derzeitigen Zweitliga-Club Blau -Weiß 90. Doch in letzter Zeit regte sich immer mehr der demokratische Unmut der Vereinsmitglieder. Einige warfen Kursawa Vernachlässigung der Amateur- und Jugendabteilung vor, andere vermißten eine Perspektive für den Verein, und dann gab es noch welche, die erklärten ganz spontan ihren Groll über irgendwas halt oder so.

Also, wie das so üblich ist, wurde der Plan ausgeheckt, den alten Präse zu stürzen, indem man ihm ganz überraschend bei der Wahl einen Gegenkandidaten vor die Nase setzt. So geschehen vor zehn Tagen während der Generalversammlung des Vereins. Prompt verlor Kursawa sein Amt mit 52:58 Stimmen an Herrn Volker Seemann, seines Zeichens Sportwart der Amateure. Na ja nun, so was ist wirklich nichts Besonderes. Doch interessant ist, wie raffiniert der ganze Coup durchdacht und eingefädelt worden ist. Herr Seemann wurde nämlich am Abend vor der Wahl von Unzufriedenen gefragt, ob er nicht Erster Vorsitzender werden wolle, und sagte zu, ganz spontan aus dem Bauch.

So clever es begann, ging es auch weiter. Immerhin zehn Prozent der Blau-Weiß-Mitglieder waren zur Wahl anwesend, von denen mehr als die Hälfte den Herausforderer wählte oder, wie jemand korrekter formulierte, gegen Kursawa stimmte. Manchmal nennt man so einen Kandidaten wie Herrn Seemann einen Stroh- oder Hampelmann, einen demokratisch legitimierten immerhin.

Es kann nun aber sein, daß sich die Nöler unter den Blau -Weißen selbst verkohlt haben. Denn Herr Seemann denkt nicht daran zurückzutreten, schon gar nicht von seinem neuen Amt. Doch jetzt kann langsam die Gesichtsmuskulatur aktiviert werden: Herr Seemann konnte weder Vorschläge zur neuen Besetzung des Vorstandes, geschweige denn Pläne für ein neues, besseres Management des Vereins vorlegen. Konzentriert lassen sich die bisherigen Überlegungen zusammenfassen: irgendwie, irgendwo, irgendwann.

Die alte Garde ist über so etwas natürlich aufgebracht. Einige Mitglieder wollen gegen die Wahl vor Gericht gehen oder aus dem Verein, und Kursawa sprach gar von „Schalker Verhältnissen“. Und Vize Hans Maringer, der bei Blau-Weiß das Geld ranschafft, war verwundert: „Seemann? Diesen Herrn kenne ich nicht.“

Am 23. Juni jedenfalls geht die unterbrochene Versammlung weiter. Dann soll auch geklärt werden, wer mit wem noch zusammenarbeiten will oder soll und warum. Die Blau-Weißen brauchen sich trotz allem aber keine Sorgen um ihre Zukunft zu machen, denn solch Gebaren scheint zumindest in Berlin Tradition zu haben, ohne daher größeren Schaden zu verursachen, wie schon Kurt Tucholsky feststellte: „Berliner Geschäfte kommen nicht durch ihre Unternehmer, sondern trotz ihrer Unternehmer zustande.“

Schmiernik

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