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Pappbrot für die Knackis, Wurst für die Gäste

■ 150 Gäste feierten in der Jugendhaftanstalt Plötzensee mit den Häftlingen und dem Motto „Feierabendmahl und Fete“ / Veranstaltung war im Rahmen des Kirchentages zustande gekommen / Im Knastalltag bringt Kirchgang Abwechslung

Zu Feiern gibt's im Knast normalerweise wenig und Live-Rock schon gar nicht. Nicht so am Freitag in der Jugendstrafanstalt Plötzensee: „Feierabendmahl und Fete“ unter diesem Motto drängelten sich etwa 100 Insassen und 150 eingeladene Gäste drei Stunden innerhalb der Gefängnismauern. Anlaß für diese Aktion unter christlichem Stern war der Kirchentag. Symbolischer Programmpunkt des Pfarrers: Häftlinge und Besucher sahen sich im Veranstaltungssaal zuerst von einer Mauer aus Pappkartons getrennt, die im Laufe des Feierabendmahls abgetragen wurde. Beide Gruppen hatten sodann die Gelegenheit, sich gegenseitig zu „beschnuppern“. Damit der Unterschied zwischen den jugendlichen Insassen und den überwiegend dem Mittel-Alter angehörenden Gästen nicht gänzlich unter den Tisch fiel, waren an die Christen von drinnen und draußen verschiedenfarbige Halsketten verteilt worden. Der Kontaktfreudigkeit tat das keinen Abbruch. Nach Beendigung des Gottesdienstes von Gefängnispfarrer Lösch wurde entspannt geplaudert. Im Innenhof der Gefängnisgemäuer rockte derweil die Moabiter Band „Red Sky“ und untermalte damit die Schlacht am kalten Büffet, bestehend aus Kartoffelsalat, Buletten und - im Knast ist Alkohol verboten - Faßbrause.

„Allet, wat von draußen kommt, kommt durch die Kirche“, kommentierte Michael das Spektakel. Er sitzt seit fünf Jahren und freut sich über jede Gelegenheit, Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen. „Wat mich jewundert hat, war, daß der Gottesdienst so diszipliniert abging“, so Michael, der im Knast eine KFZ-Mechanikerlehre absolviert. Etwa 30 bis 50 Jugendliche würden an den Gottesdiensten im Durchschnitt teilnehmen. „Es gehen viele auch so zu Pfarrer Lösch“, erklärte auch ein Häftling, der gerade seine sechsmonatige Strafe wegen schweren Raubes absitzt. Das sei für viele eine Abwechslung zum tristen Gefängnisalltag und eine Art „von der Leber quatschen“.

Nico, einer der sieben Häftlinge, die während des Kirchentages Freigang bekommen haben, stimmt seinem Kollegen zu: „Ich hab‘ ein ganz gutes Verhältnis zu Pfarrer Lösch.“ Gläubiger als die anderen sei er nicht. „Da hat wohl eher Zuverlässigkeit und Verhalten 'ne Rolle gespielt“, so Nico über sein Freigang-Glück. Der 23jährige lebt seit fünf Jahren im Gefängnis, vier weitere liegen noch vor ihm. Was ihn aufregt, ist die Extrawurst in Sachen Essen für die Wuppertaler: „Die kriegen zum Frühstück Schrippen und Aufschnitt, wir müssen uns mit Pappbrot zufrieden geben.“

Begeistert sind die Häftlinge im Alter zwischen 16 und 23 von der Rockgruppe „Red Sky“. Olaf, der Sänger, ist innerhalb der Gemäuer bestens bekannt. „Im November letzten Jahres habe ich hier angefangen, mit den Jugendlichen Musik zu machen“, so der Amateurmusiker, der Sonderpädagogik studiert. Anfangs als Baustein für seine Examensarbeit gedacht, verbringt der Musiker ein- bis zweimal in der Woche seine Freizeit in der Strafanstalt, um den Jugendlichen Gitarre-, Baß- oder Schlagzeugspielen beizubringen. Seine These, daß Musik Aggressionen abbaut, bestätigte sich zumindest während des kirchlichen Festes im Gefängnis: Keine bösen Worte, dafür aber lange Gesichter, als sich um Punkt 21 Uhr wieder die Gefängnistore hinter den Feiernden schließen - von außen für die Besucher, von innen für die Häftlinge!

cb

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