: Vom Schafhirten zum Parkwächter
■ Verkehrsbekehrung und Gebete gegen Tempo 100 beim Motorradgottesdienst am Breitscheidplatz
Man muß dem jungen Menschen bekehren, wo man ihm erwischt. Und wenn der gerade auf seiner großen Maschine sitzt, muß man ihm das Kreuz auf seinen Helm hauen, damit er ihn abnimmt zum Gebet.
Der Pfarrer hat den Hals mit einem lila Tuch umwickelt. Steht in seiner Leder-Kombi hinterm Vollbart vor der Gemeinde. Spricht ein auf die Jugend unten. Die sitzt zu Tausenden auf dem Breitscheidplatz auf ihren Marschfahrkörpern beim Drive-in-Gottesdienst für die schnelle Bekehrung zwischendurch. Freies Licht, freier Himmel, freie Zeit, freie Fahrt. Segen gibt's erst am Schluß. Gratis. Alles.
Jetzt dankt der ewige Jugendpfarrer Bernd-Jürgen Hamann Gott, dem Kirchentag und der Verkehrspolizei, was ja dasselbe ist bzw. untrennbar zusammengehört. Denn wg. Gemeinschaftserlebnis sind „Fragen des Straßenverkehrs“ immer auch Fragen der Kirche, legte der Herr seinem zum Parkwächter umgeschulten Ex-Schafhirten auf der mobilen Kanzel in das sprachliche Auspuffrohr. Und wenn das mit der kirchlichen Zuständigkeit in verkehrspolitischen Fragen nicht von selbst aus der Bibel herausqualmt, muß man es eben in dieselbe hineintanken: notfalls mittels Nachrüstung durch den „Psalm des Motorradfahrers“ (siehe Kasten) oder durch den Einbau von gebrauchten Gleichnissen in das allerneueste Gesellschaftsmodell. Das „Gleichnis vom barmherzigen Samariter“ schreit demnach nach einem passenden Unfallort, an dem der Botschaft des Evangeliums per Erster Hilfe neues Leben eingehaucht werden kann.
Doch allzulang dürfen auch in der samstagnachmittäglichen Gottes-Show die Wortbeiträge nicht sein; das musikalische Rahmenprogramm haben Dr.Luthers Sons & Daughters allerdings quasi von der Straße auf die Schiene verlegt: 'Intercity‘ heißt die Himmelfahrts-Combo. Deutscher Solid-Rock mit Langhaarsänger und echt-nachdenklichen und schwerst -engagierten Anti-Sachzwang-Texten, auf daß alles überall irgendwann irgendwie viel schöner und menschlicher oder so werde - Hauptsache niemand tut niemandem weh, juchee. Die Hüfte wiegt im Takt - die Händchen patschen überm Kopf rechts: schnipp, links: schnipp - Wie-ge-schritt: Was Michael Jackson die Go-Go-Girls und den Katholen die Ministranten, sind den Evangelen die Jungs und Mädels von der 'Arbeitsgemeinschaft Christlicher Motorradfahrer‘, die heute auf der Bühne denen da unten etwas vorglauben dürfen. Die Speerspitze der lila Laienschar sogar mit Selbstgedichtetem: „Von Berlin nach Helmstedt in neunzig Minuten / Ich bräuchte ein Feuerwehrhorn, um zu tuten“, reimt ein Bursch. Und drei Mägdelein, die „Auspuffmiezen“, liturgieren sprechsingend zurück: „Miau, mio, miau, mio, sie drohen mit den Pfoten, / Miau, mio, miau, mio, der Momper hat‘ s verboten / Miau, mio, miau, mio, nur hundert ist das Fahrtempo.“ Schließlich: „Dem Säufer hinterm Lenker droht / Am Ende noch ein früher Tod / Miau, mio, miau, mio / Wo bleibt die Einsicht Freunde, wo.“ Da wollen die mainz-wie-es -singt-und-lachenden Miezen also doch noch „einen Augenblick die Unrast unserer Jugend ablegen“, denn gleich soll auf der Abschußrampe der Hauptact gezündet werden. Fehlen nur noch die Katholen, die eine „Gute Fahrt“ grußadressieren (es vertragen sich nicht nur katholische und evangelische Christen, sondern auch die Honda- und die Kawasaki- und die BMW-Christen), und dann predigt es. Jeder von uns führe schon einmal mit der Eisenbahn, weiß der Pfaffe aus seiner seelsorgerischen Praxis, und daß man da nicht aussteigen könne, hat er auch erkannt. „Wir sind freier mit dem Motorrad“, schließt er deshalb. „Aber folgen wir nicht alle auch dem Zug der Zeit, der Geschwindigkeit?“ gründelt er weiter. Weshalb man stets darauf achten müsse, daß daraus kein „Leichenzug der Zeit würde“, denn heute darf die Metapher ausgequetscht werden, bis sie nur so spritzt. Schließlich heißt das Motto des Kirchentags „Unsere Zeit in Gottes Händen“, und Geschwindigkeit hat etwas mit Zeit zu tun, relationiert der physikalisch gebildete Geistliche, und dieser Gottesdienst heißt „Zeit-Scheck-Point“ - wenn das keine göttliche Harmonie ist. Indessen: Unheil droht dem Motorradfahrer. Und zwar nicht nur von ganz oben (göttliche Fügung), sondern auch von ganz unten (Psyche, Straßenverkehr) und von der mittleren Führungsebene (Regierung): „Viele Unfälle sind verkappte Selbstmorde. Dem kann man mit Verboten nicht beikommen“, gibt der motoradisierte Stellvertreter kund. Die Seinen lassen einen donnernden Applaus fahren. Hauptsache, man bewahre die Schöpfung, phrasiert die lippenbekennende Kirche und erntet gleich noch 130 Richtgeschwindigkeits-Punkte beim Niemals-zu -Fuß-Volk mit der Parole „erst überzeugen, dann verbieten“. Dann ist soweit wieder alles roger - Zeit für ein dreifaches A-men! A-men! A-men.
grr
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