: Honnecker betet - und läßt festnehmen
■ Rund 6o Festnahmen in Leipzig wegen Teilnahme an Straßenfest und anschließender Spontandemonstration / Honecker besucht mit Engholm Gottesdienst im Greiffswalder Dom
Berlin (dpa/ap) -In der DDR sind jetzt auch nicht-genehmigte Feste Anlaß zu Verhaftungen. In Leipzig wurden am Wochenende rund 60 leute festgenommen, die an einem Straßenfest mit anschließender Spontandemonstration teilgenommen hatten. Die Veranstaltung war von unabhängigen Friedens- und Menschenrechtsgruppen organisiert worden. Es sollte das erste inoffiziell Straßenmusikfest in Leipzig werden. In der Innenstadt fanden sich 15 Musikgruppen und rund 500 ZuhörerInnen ein. Uniformierte und zivile Ordnungskräfte griffen bald darauf ein und nahmen rund 20 Teilnehmer fest. Als sich einige Zeit später ein sponataner Demozug gegen die Verhaftungen bildete, wurden weitere 40 Personen festgenommen, die in der Nacht zum Sonntag dann wieder freigelassen wurden.
Während in Ost-Berlin Chinesen die Einreise verweigert wurde, bemüht sich SED-Chef Honecker auf internationalem Parkett um menschenfreundliche Grenzpolitik. In einem Interview der Washington Post erklärte der 76jährige Gerontokrat, es seider Wunsch seiner Regierung, die Grenze zwischen beiden deutschen Staaten angesichts des verbesserten Verhältnisses zwischen West und Ost „menschlicher zu gestalten“. In Anspielung auf die Forderung von Präsident Bush, die Mauer einzureißen, mußte Honnecker jedoch erneut betonen, die Mauer und die strikten Grenzkontrollen seien nach wie vor erforderlich. Die Umwälzungen in Osteuropa erklärte er weiter, seien in den nationalen Bedingungen der jeweiligen Länder begründet. Eine Krise des Kommunismus sei daraus nicht abzuleiten. Für die DDR jedenfallsgebe es keinen Anlaß für große Veränderungen im politischen und wirtschaftlichen System. Weniger dogmatisch gab sich Honecker unterdessen am Sonntag und besuchte erstmals einen Gottesdienst. Nach zehnjähriger Innenrenovierungwurde der Dom in der Ostseestadt Greiffswald feierlich eingeweiht. Anwesend war auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Engholm. Vor der Kirchenfeier sprach Honecker gegenüber westlichen Journalisten von einem „guten Verhältnis“ zur Kirche. „Gut ist ein relativer Begriff“, hieß es dagegen bei DDR-Kirchenleuten - das Verhältnis könne besser sein. Von Honeckers Teilnahme erhoffen sich dennoch viele Kirchenvertreter eine „positive Signalwirkung“ für die weitere Entwicklung zwischen Kirche und Staat.
Bei einem „Freundschaftstreffen“ informierte am Freitag der sowjetische Außenminister Schewadnadse die DDR-Führung über den Besuch Gorbatschows in Bonn. Das eher zwiespältige Verhältnis zwischen beiden Staaten erwärmte er mit den Worten, die DDR übe einen „wohltuendenEinfluß auf die Lage in Europa und der Welt aus“.
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