: Back to the USSR
Zu den Folgen der Massaker von Peking auf das Gleichgewicht der Supermächte ■ K O M M E N T A R E
Die politischen Schockwellen des Massakers auf dem Tiananmen -Platz erschüttern Asien: Ändert sich das Gleichgewicht der Supermächte? US-Politiker befürchten, das letzte Jahrzehnt enger Kooperation zwischen den USA und China - insbesondere in Asien - neige sich dem Ende zu. Gestern griffen die von der Regierung streng kontrollierten chinesischen Medien die USA scharf an, weil sie dem chinesischen Dissidenten Fang Lizhi Schutz bieten. Die chinesische Regierung ist offensichtlich entschlossen, Präsident Bushs behutsame Antwort auf die jüngsten Ereignisse zu ignorieren. Erbost über den Fall Lizhi erließen die chinesischen Behörden einen Haftbefehl gegen ihn - unter einer Anklage, die ein Todesurteil nach sich ziehen könnte; damit beschworen sie bewußt eine ernste Konfrontation zwischen beiden Nationen herauf.
Schon in den letzten Wochen deutete einiges darauf hin, daß die chinesische Führung die erneuerte Freundschaft zur Sowjetunion zu eigenen Zwecken ausnutzen und vertiefen wollte. Unmittelbar vor dem Massaker ließ Li Peng öffentlich durchblicken, die Studentenbewegung sei aus dem Ausland ermutigt worden, den sino-sowjetischen Gipfel zu sabotieren und beschuldigte indirekt die USA, sich in die inneren Angelegenheiten Chinas einzumischen. Yao Yilin, Ökonom der harten Linie und eines der fünf ständigen Politbüro -Mitglieder, meinte letzte Woche, es mache nichts mehr aus, wenn die USA sich weiterhin sträubten, Rüstungsmaterial zu liefern - nun könne die Sowjetunion die chinesischen Bedürfnisse nach moderner Technologie befriedigen.
Während im US-Kongreß härtere Sanktionen gefordert werden, warnen Außenministerium und Sicherheitsberater, die USA gingen damit das Risiko ein, China zurück in die Arme der UdSSR zu treiben und „zwanzig Jahre US-Diplomatie zunichte zu machen“.
Diese Hinweise sind vielleicht lediglich als Teil des informellen Verhandlungspokers zu verstehen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind die chinesischen Führer davon überzeugt, daß die USA China stärker brauchen als umgekehrt. Es bleibt offen, ob lediglich die USA von weiteren Maßnahmen gegen China abgehalten werden sollen oder ob sich tatsächlich eine Umkehr der chinesischen Politik abzeichnet. Der Fall Lizhi könnte jedenfalls alle Möglichkeiten zunichte machen, daß die beiden Staaten ihre Beziehungen neu verhandeln.
Eine solche Umkehr würde sich in fernerer Zukunft auf ganz Asien auswirken, auf Indochina jedoch zweifellos sofort. Pekings jüngste Verlautbarungen haben der Furcht Nahrung gegeben, die beiden asiatischen Supermächte könnten Pnom Penh eine Lösung aufzwingen. Gorbatschow ist verzweifelt bemüht, die sino-sowjetischen Beziehungen zu verbessern, und viele fürchten, er werde dabei die Interessen Kambodschas oder Vietnams außer acht lassen. Obwohl der Gipfel nicht den erwarteten Durchbruch brachte, machte die Sowjetunion der chinesischen Position mehrere Zugeständnisse, insbesondere in Bezug auf Anerkennung und zukünftige politische Beteiligung der Roten Khmer. Aus Hanoi war gestern zu hören, die vietnamesische Regierung äußere sich in vertraulichen Gesprächen mit sehr gemischten Gefühlen zu den Aussichten auf eine engere sino-sowjetische Beziehung. Fast sicher ist zumindest, daß die gegenwärtig herrschenden chinesischen Hardliner Pol Pot und die Roten Khmer nicht fallen gelassen werden, was sie unter US-Druck zunehmend erwogen hatten. Sie werden die Roten Khmer nach dem Abzug der Vietnamesen im September wohl weiter unterstützen: Eine Fortsetzung des Guerilla-Kriegs in Kambodscha wird damit fast unausweichlich.
Larry Jagan
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