: Unter Vertrauensbildnern und Abstaubern
■ Europarlamentarier Thomas von der Vring (SPD) über Reklamewahlkampf und die Macht, die aus der Minderheit kommt
Der Bremer Hochschullehrer Thomas von der Vring gehört dem Europäischen Parlament seit 1979 an, hat dort zunächst im Regionalausschuß und zuletzt in der Haushaltspolitik gearbeitet. Ohne Gegenkandidat auf den sicheren 15. Listenplatz der Bundes-SPD gesetzt, wird er diesmal der einzige Bremer Europarlamentarier sein, da der CDU-Kandidat Ebel keine Chancen hat und der Grüne Peter Willers nicht auf die Liste gelangt ist.
taz: Hinter Ihnen auf dem Plakat steht: 'Die SPD macht Europa stark‘. Oder: 'Von der Vring für Europa‘. Ich sehe nirgends: 'Die SPD ist für eine demokratische Konstruktion, wo nicht ungewählte Vertreter in Rat und Kommmission Gesetze unöffentlich beschließen und das europäische Parlament einen zwar gewachsenen, aber sehr indirekten Einfluß hat.‘
Thomas von der Vring: Ich bin prinzipiell unschuldig, was die Werbung betrifft. Die sogenannten Profis haben gesagt, in einem halbjährigen Wahlkampf wird nichts an Sachinformationen vermittelt: Die Leute wissen nichts, das könnt Ihr bis dahin nicht ändern. Also machen wir einen emotionalisierten Wahlkampf.
Ich muß allerdings die Bereitschaft verlangen, ein Programm von 7, 8 Seiten zu lesen. Da steht ja alles drin, auch die Demokrati
sierung, nach der Sie fragen.
Sie wissen ja auch, daß in der Bevölkerung ein ziemliches Ressentiment besteht, daß dieses Parlament nicht viel zu sagen hat und daß andere Gremien sich hier in das Leben einmischen und man
selber eine Ohnmacht dagegen spürt. Ist das nicht ein bißchen unverantwortlich, wenn man die Auseinandersetzung mit diesen Ressentiments den Rechtsparteien überläßt?
Ich glaube, daß Reklame überhaupt kein geeignetes Mittel der
Aufklärung ist. Und ich halte jegliche Form von Wahlkampf im wesentlichen für korrupt.
Ich glaube außerdem, die rechte Agitation ist eher darauf bezogen, daß überhaupt das Ausland bei uns mitregiert. Ich sehe, von der Presse bis zu den intellektuellen Schichten, bis zu denen, die das Gefühl haben, daß sie von anonymen Mächten niedergemacht werden, ein aktives Weggucken, und das nur in Deutschland. Weil im Grunde alle Leute wissen, daß wir die großen Abstauber und Ausplünderer dieses Binnenmarktes und dieser EG sind. Dieses mögen wir uns nicht eingestehen. Deswegen erwecken wir den Eindruck, als wäre das Ganze ein verächtliches Umfeld, wo es nicht rechtmäßig zugeht.
Was war Ihre wichtigste Erfahrung im Europäischen Parlament?
Daß man nicht unbedingt eine Mehrheit haben muß, um etwas zu erreichen. Die ganze Debatte, wer hat denn was zu sagen, fragt immer nach dem Mächtigen. Wenn man bei der Katalysatorabstimmung oder bei der Radioaktivität in den Lebensmitteln, wo das Parlament die Verschärfung der Grenzwerte um 1 zu 1o verlangt hat, am Ende alle kriegt, außer ein paar Rechtsradikalen, dafür zu stimmen, dann ist das ganz
schwer zu erklären, aber es passiert.
Wann waren Sie persönlich denn in der Minderheit in einer Sache, für die Sie sich eingesetzt haben?
Ich bin immer da in Minderheiten und muß Mehrheiten herstellen und Freunde gewinnen. Dazu gehört eine prinzipielle Struktur, wo man dauernd miteinander redet. Und zuerst sich dafür interessiert, was der andere, ob das jetzt ein Bänker aus Griechenland oder ein Kommunist aus Spanien ist, was der für konkrete Probleme hat. Da muß man schon sehr persönlich mit den Leuten zusammen arbeiten und über eine lange Zeit ins Gespräch kommen. In der Katalysatordebatte z.B. war das erste, zu fragen, ob es überhaupt ein Waldsterben gibt, oder ob das alles ein Schwindel der deutschen Automobilindustrie ist. Da die Deutschen in dem Ruf stehen, für alles, was sie an Egoismen haben, edle Werte vorzuspielen, sind sie immer im Verdacht zu lügen. Da sagt man aber nicht, ihr Deutschen lügt, sondern man lächelt und sagt, ja, mag ja sein. Und dann haben wir erst im Laufe der Zeit begriffen, daß es für Italiener und Franzosen viel einschneidender ist, solche Richtlinien zu akzeptieren, weil für einen Kleinwagen eine Technik nötig ist, die viel mehr Geld kostet, als wenn man so ein Ding an einen Merce
des dranmacht. Das im Gespräch so auszuloten, daß man am Ende einen gemeinsamen Text machen kann, wo alle sagen, da stimmen wir mit, das ist der Vorgang, um den es geht. Das hätte niemals ein Herr Zimmermann als Bundesinnenminister, der zuständig war, gemacht. Der ging nach Brüssel und haute mit der Faust auf den Tisch und sagte: Wir Deutsche haben endlich auch mal einen gut! Und dann sagen wir immer: Das Ausland lehnt alles ab, was wir vorschlagen. Und bei dieser Art, stellen sich gerade die Länder taub und schweigen, die ewig das Gefühl haben, an den Rand geschoben zu werden. (...)
In der Katalysatordebatte ging es darum, es so hinzukriegen, daß der Rat das hätte einstimmig ablehnen müssen. Dazu mußten wir die Kommission auf unsere Linie kriegen. Und ich mache Haushaltspolitik unter dem Gesichtspunkt: Wie erzwing ich die Loyalität der Kommissare gegenüber dem Parlament. Ich bewillige ihnen ihre Stellen, die sie gebrauchen. Ich war der Vertreter des Parlaments für den Haushalt 89 und bereite jetzt bis zur Wahl den Haushalt 1990 vor. Und ich werde in einer Weise nett behandelt von den Kommissaren, die in der praktischen Gesetzgebung sehr hilft.
Die Fragen stellten:
Barbara Debus, Uta Stolle
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