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„Ohne Feindbild ist weitere Aufrüstung schwer möglich“

Interview mit G. A. Arbatow, Direktor des Instituts für Studien der USA und Kanada der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, und D. A. Granin, Schriftsteller und Volksdeputierter der UdSSR, zu den deutsch-sowjetischen Beziehungen und weltweiter Abrüstung  ■ I N T E R V I E W

taz: Gorbi in Bonn, das heißt jede Menge Euphorie und in den USA und anderen westeuropäischen Ländern sogar die Vermutung, die Deutschen kippten weg. Dabei hat doch, so jedenfalls dem Anschein nach, die sowjetische Außenpolitik vor allem die Verbesserung der Beziehungen zu den USA im Auge. Man denke nur an die Politik der Lösung regionaler Konflikte und nicht so sehr Europa. Da sprach man schon von einer neuen Detente-Politik. Wie steht es denn nun wirklich?

Arbatow: Gorbatschow hat schon, bevor er Generalsekretär wurde, gesagt, daß die sowjetische Außenpolitik viel weiter geht als nur die Verbesserung der Beziehungen zu den USA. Sein erster Besuch als Generalsekretär war nach Frankreich. Mit Großbritannien wurde auch gleich gesprochen. Dann kamen die Initiativen zur Beendigung des kalten Krieges, und das betraf auch die USA. Jetzt sind wir in einer zweiten Runde sozusagen.

Uns liegt es ja eigentlich nicht so, staatstragende Fragen zu stellen. Aber dennoch würden wir gerne wissen, ob die Bundesrepublik inzwischen eine besondere Rolle in der sowjetischen Außenpolitik einnimmt. Gibt es einen deutschen Sonderstatus?

Granin: Es gibt zwischen beiden Völkern nicht nur die Geschichte der letzten fünfzig Jahre. Wir haben eine Geschichte über Jahrhunderte. Von Alexander (dem Großen) an, gab es ein deutsches Dorf in Moskau, später kamen noch mehr Deutsche ins Land. Die Deutschen waren immer als geschickte Handwerker angesehen. Und obwohl es sehr viele tragische Seiten in unserer Geschichte gab, hat Deutschland immer wieder Anziehung auf die Russen ausgeübt.

Kann aber ein „neues Kapitel“ aufgeschlagen werden, wenn über die dunklen Flecken der Vergangenheit nicht gesprochen wird?

Granin: Wir können und wir dürfen über diese Periode der Geschichte nicht schweigen. Manche finden, es sei zu diesem Zeitpunkt nicht angebracht, darüber zu sprechen. Aber Millionen von sowjetischen Familien sind durch die Hölle gegangen. Die Erinnerung daran ist sehr wichtig in der Geschichte unseres Landes. Aber die Bundesrepublik von heute ist nicht das Land, gegen das ich gekämpft habe. Verzeihen sollen wir, aber nicht vergessen.

Was ist denn neu an diesem Deutschland, der BRD. Was gibt Ihnen Hoffnung, mit dieser Gesellschaft friedlich auszukommen.

Arbatow: Vielleicht ist es, weil die Deutschen und die Russen am besten wissen, was ein Krieg heißt - auch die Polen, auch die Jugoslawen. Kaum aber die Amerikaner. Das ist wichtig, denn die Bundesrepublik als eine wirtschaftliche Großmacht will keinen Krieg erlauben. Und sie hat großes wirtschaftliches Interesse an Osteuropa. Und wir an der Bundesrepublik.

Hinzu kommt, daß das Interesse an russischer Kultur hier besonders hoch ist. Ähnlich dem Interesse bei uns an der deutschen Kultur. Von hier aus Bonn kamen die Impulse zu einer Entspannungspolitik in der Ära Brandt, und diese Ausstrahlung ist für uns immer noch wichtig.

Immerhin hat sich auch eine neue Strömung rausgebildet. Was halten Sie eigentlich von den Grünen und der mit ihnen verbundenen gesellschaftlichen Strömung.

Granin: Die Bewegung der Grünen ist eine noble und aktuelle Bewegung. Das ist für mich sehr wichtig. Wir haben auch eine großangelegte ökologische Bewegung, die leider noch keine großen Erfolge hat. Wir haben nur eine Partei, und wir können nicht eine politische Partei der Grünen organisieren, obwohl es angebracht wäre.

In der BRD haben zu Anfang der 80er Jahre Hunderttausende oder Millionen für die Abrüstung demonstriert. Die Mittelstreckenraketen sind jetzt weg. Doch in der Frage der Kurzsteckenraketen und bei der konventionellen Abrüstung wird im Westen weiterhin nur mit Unlust reagiert. Glauben Sie denn, Herr Arbatow - Sie sind ja ein Spezialist für die Politik der Vereinigten Staaten -, daß in den USA ein grundsätzlicher Umschwung in dieser Beziehung zu erkennen ist.

Arbatow: Wir haben für die USA eine schwierige Frage aufgeworfen, wir haben ihnen den Feind weggenommen. Ohne Feindbild ist die Fortsetzung der Aufrüstungspolitik schwer möglich, auch der kalte Krieg nicht. Wir gehen dabei weiter, wir kürzen unser Budget um 40 Prozent in den nächsten Jahren. Bisher will die Nato noch drei Prozent zulegen. Nicht nur der militärisch-industrielle Komplex benutzt seine Macht, auch die ganze politische Elite im Westen denkt leider noch in traditioneller Weise. Zwischen den angebotenen unterschiedlichen Krisenszenarios fehlt in den USA immer noch das wichtigste: das nämlich, mit dem Rüsten aufzuhören und eine grundsätzlich neue Ordnung herzustellen.

Wie steht es denn mit ihren eigenen Militärs, die sind doch auch nicht unbedingt Leute, denen man nachts allein auf der Straße begegnen möchte.

Arbatow: Ich glaube, die meisten Militärs verstehen, daß die Sowjetunion eine schwach entwickelte Großmacht ist. In diesem Sinne werden auch die noch existierenden Betonköpfe ein Einsehen haben. Wir wollen uns weiterentwickeln.

Vor einigen Jahren haben westliche Militärs und östliche Militärs meistens das gleiche gesagt, bis in die Formulierungen hinein. Wie sollen die denn so schnell umgedacht haben. Denken Sie an China. Dort hat das Militär agiert und dazu beigetragen, die Demokratiebewegung zu zerstören.

Arbatow: Natürlich ist es tragisch, was in China passiert ist. Ich kann aber keine leichtfertigen Einschätzungen machen. Das Militär muß immer unter der Kontrolle der Politik, der Partei bleiben.

Herr Granin, was sagen Sie denn dazu?

Granin: Das waren schamvolle Aktionen der chinesischen Regierung. Es ist unmöglich, daß die Armee auf ihre eigenen Bürger schießt. Es ist empörend, daß die Armee die Leute unterdrückt, die die Umwandlung des demokratischen Apparats einfordern. Diese Regierung hat sich selbst abgeurteilt.

Ist denn so ein Szenario in der Sowjetunion auch möglich?

Granin: Auch auf dem Kongreß der Volksdeputierten waren wir mit dem Problem konfrontiert, ob die Perestroika genug abgesichert ist. Die wichtigste Absicherung sind die Menschen, die vor dem TV-Schirm und den Radios saßen und zuhörten. Aber es gibt doch eine echte Gefahr, und sie wäre augenscheinlicher, wenn es eine Alternative zur Perestroika gäbe. Die chauvinistische und nationalistische Bewegung von Pamjat hat kein Programm, weder ein ökonomisches noch ein ökologisches. Um ihre chauvinistischen Ziele durchzusetzen, hätte sie nur die Gewalt. Doch wir haben die Gefahr bereits überstanden.

Das Gespräch führte Erich Rathfelder

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