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„Aus Liebe zum Sohn“

■ Prozeß gegen 67jährige Rentnerin wegen des Vorwurfs, mit Rauschgift gehandelt zu haben, wurde ausgesetzt / Angeklagte soll psychiatrisch untersucht werden

Mit gebeugtem Oberkörper und kleinen Schritten tippelte gestern die 67jährige Rentnerin Ilse S. im Gerichtssaal 501 zur Anklagebank. Nachdem sie sich an deren äußerstem Ende vor ihrem Verteidiger niedergelassen und ihre Beine mit einem leisen Stöhnen auf einem Stuhl hochgelegt hatte, war sie bereit, zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft Stellung zu nehmen. Diese hatte der alten Frau in einer langen Anklageschrift Handel, Besitz und Einfuhr nicht geringer Mengen harter und weicher Drogen in der Zeit zwischen November 1986 und Februar '89 vorgeworfen: unter anderem 1,4 Kilo Heroin, das die Angeklagte in ihrer Wohnung in Moabit gelagert, und ein Kilo Kokain, das sie von einer Reise nach Holland mitgebracht haben soll. Gegen zwei mitangeklagte Türken war das Verfahren zuvor abgetrennt worden. Des weiteren steht der gesondert verfolgte Rechtsanwalt Detlev M. im Verdacht, ihr mehrmals Heroin in einer Größenordnung von zwölf bis 25 Gramm abgenommen und dieses an Gefangene in Tegel überbracht zu haben.

Der Prozeß gegen Ilse S. wurde gestern nach den Plädoyers ausgesetzt, weil die Angeklagte von einem Psychiater untersucht werden soll, ob sie strafrechtlich voll zur Verantwortung zu ziehen ist. Das hatte ihr Verteidiger Eisenberg für den Fall beantragt, daß die 8. Strafkammer nicht bereit sei, der Angeklagten noch eine Strafe auf Bewährung zu geben. Seinen Antrag hatte er damit begründet, Ilse S. habe sich aufgrund ihrer Einsamkeit nach dem Tod ihres Mannes Menschen geöffnet, denen gegenüber sie sonst mißtrauisch gewesen wäre. Staatsanwältin von Schomaker hatte fünf Jahre und sechs Monate gefordert.

Ilse S., deren einer Sohn im Tegeler Knast einsitzt, war am 4. Februar dieses Jahres zusammen mit zwei Türken in ihrer Wohnung in Moabit festgenommen worden. Bei der Durchsuchung ihrer Räumlichkeiten wurden 55 Gramm Heroin sowie 121 Gramm Haschisch gefunden. Der Koffer mit 1,4 Kilo Heroin, der auf dem Balkon einen Stock tiefer lag, war offensichtlich beim Eintreffen der Fahnder aus dem Fenster geworfen worden. Im Hof aufgesammelt worden war auch ein knappes Kilo Kokain. Ilse S. saß knappe drei Monate im Frauenknast Plötzensee in U-Haft, bis sie Ende Mai aus gesundheitlichen Gründen Haftverschonung bekam. Auf die Frage nach ihrer Krankheit sagte sie gestern, sie habe taube Beine und müsse an der Wirbelsäule operiert werden. Von den Vorwürfen gab sie nur zu, im Auftrag ihres gefangenen Sohnes einmal ein „Kuvert“, einmal ein „Tütchen“ und einmal ein „längliches rundes Ding“ unbekannten Inhalts in Empfang genommen und diese dem Anwalt M. überbracht zu haben. Das Kuvert habe sie am 30. Dezember 1985 nach vorheriger telefonischer Vereinbarung von einem Unbekannten auf dem Markt am Fischstand, an dem sie ihren Silvesterkarpfen gekauft habe, ausgehändigt bekommen. Die beiden anderen Dinge habe sie Mitte 1988 an ihrer Wohnungstür erhalten: „Ick habe öfters Briefbote jespielt und Wäsche jewaschen“, sagte sie in bestem Berliner Dialekt und bejahte, dies aus „Liebe zu ihrem Sohn“ getan zu haben.

Zum Vorwurf, das Kokain von Holland eingeführt zu haben, erklärte sie entschieden „det stimmt nich“. Ein Bekannter habe sie vielmehr gebeten, das Päckchen für sie aufzubewahren. Auch den Koffer, von dessen Inhalt sie nichts gewußt habe, habe sie für einen Bekannten aufbewahren sollen und geglaubt, er enthalte Schriftstücke

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