: China: „Eine Stimmung wie in Orwells 1984“
■ Besucher berichten über verstärkte Propaganda / Jetzt auch Arbeiterführer zur Fahndung ausgeschrieben / Die ersten Studentenführer festgenommen / Li Peng will erbarmungslose Verfolgung / Ausländische Journalisten ausgewiesen / Presse spricht von Klassenkampf
Peking (afp/dpa/taz) - Die chinesischen Sicherheitsbehörden haben gestern ihre Repressionen gegen Anhänger der Demokratiebewegung von Ende Mai weiter ausgedehnt. Gegen drei Führer der autonomen Pekinger Gewerkschaft wurden Haftbefehle erlassen, meldete das staatliche Fernsehen. Han Tongfang, Hou Lili, und Liu Qiang werden der Organisation von „konter-revolutionären“ Aktivitäten beschuldigt. Das Fernsehen verbreitete Beschreibungen der drei Arbeiter. Kurz nach der Veröffentlichung von Haftbefehlen gegen 21 Führer der illegalen autonomen Studentenvereinigung der Pekinger Universitäten und Colleges waren nach Fernsehberichten zwei der gesuchten Studenten verhaftet worden. Der 22jährige Physikstudent Zhou Fengsuo sei in Xian in Zentralchina festgenommen worden, nachdem seine Schwester und sein Schwager ihn denunziert hätten. Xiong Yan, ein 25jähriger Jurastudent, sei in einem Zug nach Datong im Nordwesten des Landes verhaftet worden.
Besucher, die aus China zurückkommen, sprechen von einer „Umschreibung der Gechichte“, wie sie in George Orwells Buch 1984 erzählt wird. Viele Menschen glauben angeblich den offiziellen Darstellungen der Ereignisse. Augenzeugen aus der Hauptstadt, die die offiziellen Schilderungen der Ereignisse richtigstellen könnten, kommen nur allmählich in die Provinz.
Erstmals seit zehn Jahren und dem Beginn des Reformkurses war in der parteiamtlichen Pekinger 'Volkszeitung‘ wieder von „Klassenkampf“ die Rede. „Eine sehr kleine Anzahl von reaktionären Elementen“ sei von „Haß gegen die KP und gegen das sozialistische System“ erfüllt. Eine „politische Clique von Halunken“, darunter auch „Reste der Viererbande“, stünden hinter der jetzigen „konterrevolutionären Rebellion“.
In einer Rede auf einer Sitzung des Staatsrats sagte Ministerpräsident Li Peng, die „Niederwerfung des konterrevolutionären Aufruhrs“ bedeute einen ersten Sieg. Es gehe nun darum, die „konterrevolutionären Rebellen mit Entschlossenheit weiter zu bekämpfen“. Er sprach von „erbarmungsloser Verfolgung“ der sogenannten „Aufrührer“. Li betonte laut 'Volkszeitung‘, China werde am Kurs der Reformen festhalten und auch die Politik der Öffnung zum Ausland fortsetzen. Terror verbreiten nun offenbar die chinesischen Botschaften auch unter den Studenten im Ausland, die Demonstrationen gegen ihre Regierung organisiert haben. Drohungen, die offenbar gegen Studenten von Mitgliedern der chinesischen Botschaften oder Agenten ausgesprochen wurden, sind aus Japan und der USA gemeldet worden.
Erstmals seit Beginn der Repressionen am 4.Mai wurden auch Journalisten aus China ausgewiesen. Es handelt sich um einem Korrespondenten der Nachrichtenagentur 'Associated Press‘ (ap) und einem Mitarbeiter des Senders 'Voice of America‘.
Die USA haben Zeitungsberichten zufolge China aufgefordert, den Dissidenten Fang Lizhi und Li Shuxian, die sich in der US-Botschaft in Peking aufhalten, die Ausreisen in ein drittes Land zu erlauben und die diplomatische Krise über das Schicksal der beiden zu entschärfen. In amerikanischen Zeitungen wurde gemutmaßt, daß die chinesische Regierung möglicherweise die US-Botschaft in Peking stürmen lassen könnte.
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