Hofberichterstattung - wie bei uns

■ Gorbatschow gilt bei DDR-BürgerInnen als Garant für Klimaverbesserung

Ost-Berlin (dpa) - Manche DDR-BürgerInnen wundern sich ein wenig, wenn sie derzeit die Medien aus dem Westen verfolgen: „Es ist fast so wie bei uns mit der Hofberichterstattung, wenn ein hoher Gast kommt.“ „Gorbi ist ein feiner Kerl, sein Besuch sehr wichtig, aber es gibt auch noch andere Dinge in der Welt.“ Solche und ähnliche Kommentare sind dieser Tage keine Seltenheit. Den Rummel um Michail und Raissa Gorbatschow, verbunden mit dem Aufzählen von Garderobe und Menüeinzelheiten der Festessen finden viele in Rostock, Ost -Berlin oder Dresden überzogen.

Die Erwartungen an den Besuch sind wohl übereinstimmend positiv. Im privaten Gespräch wird die Ansicht geäußert, daß aktuell die Visite in Bonn für die DDR-BürgerInnen wohl weder mehr Reisen noch mehr „Glasnost“ bringe. Denkbare Veränderungen könne es eher langfristig geben. In diesen Tagen hatte der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker persönlich den ZeitungsleserInnen bedeutet, wieviel verbesserte internationale Beziehungen bewirken können. Er bezog sich bei „der Humanisierung des Grenzregimes“, dem Abbau der Minenfelder, ausdrücklich auf solche Verbesserungen und nannte die DDR und die Bundesrepublik sowie die Sowjetunion und die USA.

Gorbatschow genießt bei den DDR-BürgerInnen große Sympathien - „Gorbi„-Sticker schmücken etliche T-Shirts junger Leute - und gilt als Garant für Versöhnung und Annäherung zwischen Ländern mit verschiedenen Gesellschaftsordnungen. Wer in der „Aktuellen Kamera“ im DDR -Fernsehen am Dienstag abend etwas über Gorbatschow erfahren wollte, der mußte sich zuvor etwa 20 Minuten lang Ost -Berlins Ministerin für Volksbildung anhören.

Das SED-Organ 'Neues Deutschland‘ gibt sich nach Einschätzung von Beobachtern bisher nicht unzufrieden mit der Reise des ersten Mannes der UdSSR und unterstreicht auch dessen Friedensbemühungen. Die Visite wird als „konstruktiver“ Schritt in den Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR bewertet. Unterstrichen wird ausdrücklich Gorbatschows Lob für die Verbündeten der UdSSR und die namentliche Hervorhebung der DDR.

Dagegen hat nach Ansicht der SED Kanzler Helmut Kohl „wieder einmal Schwierigkeiten mit den Realitäten“. Kohls Äußerung von der „fortdauernden Teilung“ und der „offenen Wunde“ Deutschlands ist für die DDR ein Ärgernis, macht der Kommentar deutlich. Die Verbundenheit zwischen UdSSR und DDR unterstreicht auch ein Beitrag von Radio Moskau, der im 'Neuen Deutschland‘ gedruckt ist. Auch der Wortlaut der gemeinsamen Erklärung zwischen der Bundesrepublik und der UdSSR wird veröffentlicht.

Bernd Kubisch (dpa)