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Tourismus-betr.: "Welche Freiheit", taz vom 3.6.89 und Leserbriefe dazu, taz vom 12.6.89

betr.: „Welche Freiheit“, taz vom 3.6.89, und Leserbriefe dazu, taz vom 12.6.89

(...) So jault also die alternative Szene auf, wenn's ihr mal ans eigene Hemd (Spaghettiträger, Shorts) geht. Sind wir doch sonst so unheimlich aufgeschlossen und tolerant, aber soweit geht Toleranz und Verständnis für andere Völker und Kulturen nun auch wieder nicht. In typisch deutscher resp. westeuropäischer Manier wird missioniert; wir zeigen euch HinterwäldlerInnen schon, wo's langgeht. 1.000 Jahre Kultur und tiefverwurzelte Religion im Schweinsgalopp überspringen. Wodurch unterscheidet Ihr Euch eigentlich von den Kreuzfahrern und Kolonialisten oder aber auch von den viel belächelten Neckermännern in ihren braunen Shorts, Socken und Sandalen auf der Suche nach Kartoffelpuffern, Schweineschnitzeln und deutschem Filterkaffee?

Und Ihr Frauenbewegten, überlegt Euch doch mal, ob's nicht auch ein Stück frauenfeindlich ist, sich am Strand barbusig neben eine türkische Großfamilie von Oma bis Enkelin hinzulegen, bis diese freiwillig das Feld räumen, oder in Shorts (die in der Türkei nichts anderes als Unterhosen sind) durch die Stadt zu bummeln. (...)

Sabine Klöpper, Wilhelmshaven

Die Reaktionen auf Marfa Heibachs Reflexionen zu den Wahrnehmungsmustern einheimischer Männer auf Frauen ganz allgemein und Touristinnen im besonderen sind teilweise sehr heftig, allesamt ablehnend. Ich wundere mich darüber etwas und erkläre es mir aus den verletzten Gefühlen heraus, die die Vergewaltigung und Verurteilung der beiden deutschen Frauen in Zypern ausgelöst haben.

(...) Vergewaltigung ist immer ein Verbrechen, die Frau immer das Opfer von Männergewalt, egal, wo sie sich befindet, was sie trägt und wie sie sich verhält. Eine ganz andere Geschichte ist die des Umgangs mit Sitten und Normen fremder Kulturen und den daraus resultierenden Machtverhältnissen, auf die sich reisende Frauen einlassen (müssen), wollen sie nicht die Gefühle und die Würde anderer - gerade auch einheimischer Frauen - verletzen. Die kleinen persönlichen Freiheiten, die wir hier so mühsam errungen haben und durchaus mit allen Risiken erleben, werden in der Fremde eben nicht größer, bloß weil uns da keiner kennt oder wir darauf vertrauen, daß die Freundlichkeit der Menschen, die Bewunderung unserer weißen Haut oder die Aufmerksamkeit unseres „emanzipierten“ Auftretens keine frauenverachtenden, gewalttätigen Reaktionen hervorrufen wird.

Marfa Heimbachs Beobachtungen sollten von uns nicht als Kommentar zu dem Verbrechen an Melanie und Ute Loh mißverstanden werden. Vielleicht hätte sie den einen oder anderen Gedanken auch präziser und unmißverständlicher gefaßt, nach der Tat. Ich teile durchaus einige der kritischen Anmerkungen ihrer LeserInnen, sie reichen aber nicht aus zu einer Bewältigung der Erfahrungen mit Männergewalt in der Fremde. Marfa Heimbachs Beobachtungen sind in dieser Debatte sehr hilfreich - für die reisenden und die einheimischen Frauen, erst recht für alle Männer.

Gisela Wuttke, Bonn 2

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