: Vereintes Gähnen vor der Urne
■ Trotz drohendem Binnenmarkt ist die Chance verpaßt worden, einen nicht-nationalen Euro-Wahlkampf zu führen
Der Versuch der Regierung Thatcher, Großbritannien mit ihrer chauvinistischen Rhetorik und Politik zielstrebig an den Rand Europas zu führen, könnte für die Konservativen heute mit einem politischen Suizidsprung über die weißen Klippen von Dover enden. Denn glaubt man den jüngsten Meinungsumfragen, dann wird die oppositionelle Labour-Party beim heutigen Europa-Wahlgang den Tories zwischen fünf und zehn der insgesamt 79 britischen Wahlkreise abnehmen und damit der seit zehn Jahren herrschenden Regierung Thatcher ihre erste nationale Wahlniederlage beibringen.
Selbst die sonst siegesgewohnten Tories geben mittlerweile zu, daß ihre Parteiführung den Puls der britischen Nation diesmal falsch gefühlt hat. War eine Anti-EG-Haltung in Großbritannien bisher immer ein sicherer Weg des Stimmenfangs, so scheint die britische Öffentlichkeit mittlerweile die Unvermeidlichkeit der Integration des Vereinigten Königreichs in ein vereintes Westeuropa akzeptiert zu haben. Frau Thatchers gebetsmühlenhaft wiederholte Drohung, daß Brüssel mit all seinen gleichmachenden Direktiven und Auflagen in Großbritannien wieder „den Sozialismus durch die Hintertür einführen will“, scheint heute jedenfalls selbst den EG-skeptischen Briten zu platt. Und der konservative Wahlslogan: „Wenn Sie am Wahltag zuhause bleiben, gibt es demnächst nur noch eine Diät von Rosenkohl“ (im Englischen „Brussels Sprout“) ist nicht nur eine Verdrehung kulinarischer Tatsachen, sondern auch für eine Nation von Fish and Chips-Gourmets eine geradezu lächerliche Drohung.
War die Spaltung in Pro- und Anti-Europäer bisher einzig und allein das Markenzeichen der Labour-Party, so haben sich in den letzten Wochen vor allem die Konservativen über den (Alp-) Traum eines europäischen Superstaates öffentlich zerstritten. Der konservative Ex-Premier Edward Heath etwa, der das damals noch widerwillige Inselvolk 1973 in die EG geführt hatte, bezeichnete Thatchers EG-Phobie unlängst schlichtweg als „Quatsch“. Und Ex-Verteidigungsminister Michael Heseltine versuchte sich mit seinem jüngsten und pro -europäischen Buch als potentieller Nachfolger der so eisernen wie isolierten Lady zu profilieren.
Thatchers Hetztiraden gegen das Brüsseler Diktat in Sachen Fremdsprachenprogramm, Währungssystem und Sozialcharta, so ihre Kritiker, habe die traditionelle „Splendid Isolation“ längst zur sturen Insularität verkommen lassen. Angesichts dieser konservativen Verfehlungen in einem völlig vermasselten Wahlkampf hatte es die Labour-Party relativ leicht, sich als pro-europäische Alterative darzustellen. Und dies, obwohl auch rund die Hälfte der zukünftigen EP -Abgeordneten Labours verkappte EG-Gegner sind. Damit nicht auffiel, wie wenig auch das Wahlprogramm der Labour zu 1992 zu sagen hat, gab Parteichef Kinnock die Parole aus, die Eurowahlen müßten zu einer Abstimmung über die Thatcherdekade umfunktioniert werden. Bei der gegenwärtigen Unpopularität der Regierung aufgrund ihrer Hochzins- und Gesundheitspolitik scheint diese Strategie - zumindest kurzfristig - aufzugehen. Wenn Labour die Konservativen bei den Europawahlen überrundet und die ebenfalls am heutigen Donnerstag stattfindenden Nachwahlen zum Unterhaus in einem Glasgower und eienm Südlondoner Wahlkreis gewinnen kann, dann wäre schnell vergessen, daß die Partei zu Europa wenig mehr als nur Lippenbekenntnisse abgegeben hat.
So blieb es denn in diesem Wahlkampf, dessen geistige Tiefe häufig an den Eurovisions-Schlagerwettbewerb heranreichte, den liberalen „Democrats“ und der „Green Party“ überlassen, sich mit konstruktiv-kritischen Vorschlägen zu Europa dem Wähler zu empfehlen. Während die Democrats allerdings nach ihrer selbstzerstörerischen Abspaltung von den bedeutungslos gewordenen Sozialdemokraten politisch kaum noch ernst genommen werden, scheinen die britischen Grünen in diesem Wahlkampf endgültig ihr Image alternativer Schlafmützigkeit abgestreift zu haben. Sie fordern ein paneuropäisches Parlament, das die Arbeitskraft regionaler Parlamente in England, Schottland, im Baskenland, Korsika usw. koordinieren soll, und eine europäische Umweltbehörde zur Kontrolle des Umweltschutzes.
Die Grüne Partei, die bei den letzten Unterhauswahlen noch auf ganze 1.7 Prozent der Stimmen kam, hat ihre Mitgliederzahl in den letzten beiden Jahren auf 11.000 verdoppeln können. Sollte die „Green Party“ ihr ehrgeiziges, aber nach den Vorhersagen durchaus realistisches Ziel von einer Million Stimmen erreichen - das entspräche bei einer voraussichtlichen Wahlbeteiligung von 32 Pro rund 7.5 aller Stimmen -, wäre dies bei der Verkündigung der Wahlergebnisse am kommenden Sonntag die wohl größte Sensation im britischen Parteienwesen seit Jahren. Abgeordnetensitze wie bei ihren kontinentalen Schwesterparteien stünden den Inselgrünen im Europaparlament allerdings aufgrund des britischen Mehrheitswahlrechts nicht zu.
Eine Niederlage für Frau Thatchers anti europäischen Isolationismus, so hofft man bei der Opposition, könnte den Anfang vom Ende der Ära Thatcher markieren. So „out of touch“ mit der öffentlichen Meinung wie in Sachen Europa war die Premierministerin mit ihrem sonst so ausgeprägten Instinkt für die Stimmung im Volke noch nie. Die Krämerstochter aus Grantham kann mit ihrer provinziellen „little englander„-Mentalität einfach nicht verstehen, daß die meisten Briten von überzeugten Anti-Europäern längst zu lauwarmen EGlern wurden.
Lila Das Gupta
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