: Realität + Eindeutigkeit Lüge
■ Fast-Literaturpreisträgerin Brigitte Burmeister las Unveröffentlichtes
Wer das ist, die mit ihrem literarischen Erstling, „Anders oder Vom Aufenthalt in der Fremde“ (Berlin-O. 1987, Darmstadt 1988) haarscharf am letzten Bremer Literaturpreis vorbeigeschrappt ist, war Dienstagabend in der Heinrich -Vogeler-Buchhandlung zu hören und zu sehen: Brigitte Burmeister, geboren 1940, eine mit Arbeiten zum nouveau roman bekannt gewordene Romanistin aus der DDR, die seit 1983 nicht mehr für die Akademie der Wissenschaft arbeitet sondern als freie Schriftstllerin.
Auffällig an Brigitte Burmeister ist das Leise, Unauffällige, Unprätentiöse, Unoffizielle, eine Schlichtheit der Worte bei einiger Raffinesse der textlichen Konstruktionen. Umstandslos gleitet sie ins Lesen zweier unveröffentlichter Prosastücke, liest so understatend, daß ich manchmal aus
ihrem Text in eigene Träume gleite, es ist ja auch so heiß. „Aussichtsturm“ heißt die Geschichte einer kleinen Familie bei ihrem Sonntagsausflug zu eben dem Aussichtsturm, eine Gruppe wie alle, die nur anders als alle ständig „wechselnde Konturen“ zeigt. Die Hierarchie zwischen ihnen schwankt, bestimmend ist oft das aufmüpfige Kind, das bestreitet, daß es einen Aussichtsturm gibt, wo es keine Aussicht gibt, mal ist es der Mann, mal die Mutter. Deshalb gibt es auch drei völlig verschiedene Visionen des gesehenen Turmes. Nur eins ist eindeutig, eindimensional, positiv, auf immer unbewegt: Das Photo, auf dem sie am Ende die nationale Volksarmistin festhält, als glückliche Kleinfamilie vor ihrem scheinbaren Wohnsilo unter blauem Himmel. Zum Beweis für dessen Richtigkeit „genügten ein
Spaziergang in das naheliegende Wahllokal und eine Faltbewegung. Das wußte jeder.“ Ende.
Die Gleichung Realität plus Eindeutigkeit gleich Lüge, wird in dieser Erzählung mit dem dechiffrierenden Schluß geradezu überdeutlich. Sie bestimmt Burmeisters Stil generell. Aus Sätzen, die oft einfach sind wie bei Kafka, wirkt sie ein schwebendes Gewebe, in der sich Wirklichkeit immerfort auflöst, verschiebt und neuformt. Dazu paßt, wenn sie an dem Abend in Bremen über das Ausgangsmotiv der anderen Erzählung, einen Traum der Rahel Varnhagen, sagt: „Ganz wichtig ist mir, daß ich diesen Traum nicht verstehe.“ Was sie nicht versteht, arbeitet aber in ihr, produziert im Unbewußten Bilder, die zu Text werden. Dem entspricht eine Produktionsweise, in der es immer wieder Tage gibt, in denen nichts passiert, ehe Einfälle kommen, plötzlich.
Da arbeitet jemand mit großer Bewußtheit und geschulter Kunstfertigkeit mit dem Unbewußten. Findet dafür eine Sprache, auf der sich beides auf gleicher Ebene mischt, ungetrennt, immer in Bewegung. Eine Sprache, die in einer erstarrten Gesellschaft eine Gegenrealität setzt. Nicht durch Kritik, Protest und Forderung sondern - ich mag das Wort nicht, aber manchmal muß es sein, - durch Kunst.
Uta Stolle
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