: Tegeler Nächte sind laut
■ Immer mehr Ausnahmen vom Nachtflugverbot / Pro Nacht drei Starts oder Landungen / Grund: Chaos im westdeutschen Luftraum / Fluglärmkommission tagte erstmals mit BI-Beteiligung / Neues Fluglärmgesetz: Mehr und bessere Schallschutzfenster geplant
Das Chaos im westdeutschen Luftraum beschert jetzt auch den Nordberlinern schlaflose Nächte. Seit etwa einem Jahr erteilt der französische Flughafenkommandant immer öfter Ausnahmegenehmigungen von dem Nachtflugverbot, das von 23 Uhr bis 6 Uhr morgens gilt. Wolf-Dieter Schultze, Sprecher der Berliner Flughafen-Gesellschaft (BFG), bestätigte gestern diesen Trend, der am selben Tag auch die Fluglärmkommission beschäftigte. Von Januar bis Mai landeten oder starteten nach den Angaben von Schultz 277 Maschinen in den Nachtstunden, dazu kommen noch 200 Postmaschinen. Im selben Zeitraum des Vorjahres waren es insgesamt 277 Nachtflüge, 150 Postmaschinen sind in dieser Zahl schon enthalten. Die Zahl der anderen nächtlichen Ruhestörer hat sich also mehr als verdoppelt. Pro Nacht schrecken mittlerweile durchschnittlich drei Maschinen die Flughafenanwohner auf.
Die Ursache dieser Entwicklung ist das Chaos im überfüllten westdeutschen und -europäischen Luftraum. Vor allem von den überfüllten Flughäfen in Frankfurt und München, aber auch von den spanischen Ferieninseln kommen die Flieger oft erst so spät weg, daß sie nach 23 Uhr in Berlin eintreffen. „Wir müssen sie reinlassen“, verteidigte Schultz die Genehmigungspraxis des Flughafenkommandanten. Die Maschinen würden überdies oft für den Morgendienst in Berlin gebraucht. Umweltstaatssekretär Groth wollte sich gestern diesen Argumenten nicht verschließen, versprach aber, auch über Alternativen nachzudenken, etwa eine Vorverlegung von Flügen.
Die Reinickendorfer Initiative „BürgerInnen gegen das Luftkreuz“ erneuerte gestern in der Fluglärmkommission ihre Forderung, das Nachtflugverbot nicht nur strikt einzuhalten, sondern sogar noch auf zwei weitere Stunden zu erweitern. Wenn hundert spätheimkehrende Geschäftsleute das Recht hätten, Tausende von Menschen aus dem Schlaf aufzuschrecken, dann würden „Menschen erster und zweiter Klasse geschaffen“, sagte ein BI-Sprecher der taz.
Die Initiative wurde gestern in die von der Umweltverwaltung eingesetzte Fluglärmkommission aufgenommen, die ihre zweite Sitzung hatte. In einer Erklärung kritisierten die Lärmgegner, daß die Alliierten trotz Einladung auch diesmal nicht zu der Sitzung erschienen seien. Ein Alliierten-Sprecher verwies gestern auf Anfrage auf die üblichen „Kanäle“ der drei Mächte zum Senat, die ein Erscheinen in der Kommission erübrigen würden.
Das Lob eines BI-Sprechers fand dagegen die von Umweltstaatssekretär Groth vorgetragene Position des Senats zum Flugverkehr. Groth bestätigte auf Anfrage, der Senat habe sich bei den Alliierten dafür eingesetzt, „Parallelflüge“ aus dem Flugplan zu streichen. Als Beispiel nannte Groth Flüge nach Frankfurt, zwischen denen lediglich 20 Minuten Abstand liegen. Die Alliierten hätten diesen Wunsch jedoch vorerst abgelehnt.
Des weiteren bestätigte der Staatssekretär Pläne seiner Verwaltung, das Fluglärmgesetz zu ändern. Dies könnte bedeuten, die Schwellenwerte zu senken, ab denen der Senat im sogenannten Lärmschutzbereich um den Flughafen den Einbau von Schallschutzfenstern bezahlt. Eine andere mögliche Verbesserung, so Groth, seien bessere Schallschutzfenster in besonders belasteten Wohngebieten. Sitzen die Flughafenanwohner beim schönen Wetter im Garten, wird ihnen das freilich nicht viel helfen.
hmt
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