: Ein DDR-Wissenschaftler warnt: Dann wäre Europa eine Wüste
Berlin (dpa) - In ungewöhnlicher Offenheit hat ein DDR -Wissenschaftler jetzt vor den verheerenden Folgen eines militärischen Angriffes auf Atomkraftwerke und chemische Industrieanlagen gewarnt. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Ostberliner Institut für Internationale Politik und Wirtschaft (IPW), Wolfgang Schwarz, verwies auf einer Tagung des Beirates für Umweltschutz beim DDR-Ministerrat auf die über 220 zivilen Atomreaktoren und die ungezählten Chemieanlagen auf dem europäischen Kontinent.
„Bei ihrer Zerstörung würden sie sich gewissermaßen in radiologische Waffen verwandeln, deren mittel- und langfristige Wirkungen die Strahlungsfolgen von Atomwaffen bei weitem übertreffen würden.“ So bestünde zum Beispiel die Gefahr großflächiger Verseuchung mit Plutonium, das bekanntermaßen so stark radioaktiv sei, daß bereits Bruchteile eines Gramms - eingeatmet - Lungenkrebs erzeugen könnten. Zehntausend Quadratkilometer könnten völlig unbewohnbar werden.
Ähnliche Einschätzungen seien auch im Hinblick auf die chemische Großindustrie zu treffen. Sie stelle heute mehr oder weniger giftige, leicht entzündliche und explosive Endprodukte her, die nicht selten eine tödliche Gefahr für das menschliche Leben wie auch für Pflanzen und Tiere darstellten.
Der Wissenschaftler verweist auf das westdeutsche Einzugsgebiet des Rheins und auf die DDR-Bezirke Halle und Leipzig mit den chemischen Großanlagen von Leuna, Schkopau, Bitterfeld, Wolfen und Zeitz. „All dies sind, wie überall in Europa, 'Freiluftanlagen‘, völlig ungeschützt gegen militärische Gewalteinwirkungen.“
Selbst in einem „bloß“ konventionellen Krieg, ohne daß überhaupt Kern- und C-Waffen zum Einsatz kommen müßten, würde aus Europa „eine atomar chemisch und genetisch verseuchte Wüste werden“, meint der DDR-Wissenschaftler zusammenfassend.
Das bedeute unter anderem, daß „offensivfähige Potentiale“, wie sie zum Beispiel in Europa im Zweiten Weltkrieg in Gestalt einer Kombination von Panzer- und schweren mechanisierten Verbänden sowie starken Luftangriffskräften zur Anwendung kamen, unter den heutigen Bedingungen „disfunktional“ wären - „ihr Einsatz würde zur Zerstörung all dessen führen, was ein Aggressor erobern könnte und was die Opfer der Aggression zu verteidigen hätten“.
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