: Mißtrauen gegen die Macht
■ I.F. Stone, Gründer der legendären 'Stone's Weekly‘ ist tot - Ein Nachruf
Am Tag, an dem die taz ihre erste Ausgabe im neuen Domizil im Berliner Zeitungsviertel produzierte, hat sie einen ihrer geistigen Väter verloren. I.F. Stone, der Gründer, Besitzer und einzige Redakteur des legendären amerikanischen 'Stone's Weekly‘, starb mit 81 Jahren in Boston an einem Herzanfall.
Stone, Sohn jüdischer Immigranten aus Rußland, war zeitlebens ein politischer Rebell, er selbst nannte sich einen “ Nonkonformisten“. Sein 'Weekly‘, das er zwischen 1953 und 1971 herausgab, wurde zu einer einzigartigen journalistischen Institution und zum historischen Vorbild für den investigativen Journalismus, wie er in den USA der siebziger Jahre eine Blüte erlebte. 'Stone's Weekly‘ war ein Alternativblatt vor allem in dem Sinn, daß es das Mißtrauen gegen die Wahrheit der Mächtigen ebenso pflegte wie das Mißtrauen gegen den herrschenden Medienapparat. Hergestellt wurde es mit einfachsten Mitteln in seiner Wohnung, und am Anfang war es nur vier Seiten dick, aber Stones journalistische Methode zielte nicht auf die Leser, die bereits von seinen Ideen überzeugt waren. „Ich wollte eine Zeitung, die nüchtern aussah und so akkurat sein würde, wie es mir möglich war; eine Zeitung, die ein Student an einer Hochschule in jenen feindseligen Zeiten an einen konservativen Kommilitonen weitergeben könnte, ohne daß es als hysterisches Blatt abgetan werden könnte“, schrieb Stone Ende 1971 zum Abschied von den Lesern seines 'Weekly‘.
Seine Methode war ungewöhnlich: wie ein einsamer Goldsucher schürfte er durch Regierungsstudien, Kongreßberichte, Tagungsprotokolle und Presseverlautbarungen. Die Papierflut, die die Hauptstadt der amerikanischen Supermacht produzierte, wurde für ihn zum Steinbruch. Er fand dabei mehr Interessantes als seine Washingtoner Kollegen der großen Blätter, die stolz mit Ministern zu dinieren pflegten und sich zu vertraulichen Hintergrundgesprächen einladen ließen.“ „Er war eine Besonderheit in unserer Zeit“, so der mit Stone befreundete Chicagoer Autor und Rundfunkjournalist Studs Terkel am Sonntag in einem Radiointerview, „denn er war der Inbegriff des unabhängigen Journalisten. Er warnte junge Reporter davor, enge Beziehungen zu den Machthabenden zu pflegen. Er hat sich nichts vormachen lassen, er war nie bereit, eine Presseerklärung des Weißen Hauses als 'news‘ zu verkaufen.“
Er konnte hinter diese „Nachrichten schauen, er schrieb nicht, was die Regierenden sagten, sondern beschrieb, wie sie dachten! Seine Methode war einzigartig, sehr simpel: Er las jeden Tag die Zeitungen, alles darin, dann riß er einen Artikel aus und verglich ihn mit einer anderen Zeitung, einem anderen Jahr und zeigte, wie die Herrschenden sich widersprachen, wie sie sich entblößten! Stone war der einzige, der sie zur Rechenschaft zog - und er hat nie davor gescheut, es auch zu tun.“
Zehn Jahre nach seiner Gründung hatte 'Stone's Weekly‘ erst eine Auflage von 20.000 Exemplaren erreicht, am Ende, als I.F. Stone es wegen seines schwindenden Augenlichts nicht mehr länger publizieren konnte, verkaufte er dann 70.000 Stück. In den mageren fünfziger Jahren bildete der kalte Krieg und die Kommunistenhatz von Senator Joe McCarthy den Hintergrund und den Stoff für Stones Artikel, mit denen er sich weit jenseits der damaligen politischen Norm bewegte, in den späten sechziger Jahren war es vor allem der Vietnamkrieg und der amerikanischen Großmachtswahn von Kennedy bis Nixon, gegen den er anschrieb. „Stone wurde nie ausfällig“, sagt Terkel, obwohl Stone Joe McCarthy einmal „unseren Möchtegern-Führer“ genannt hatte, „er breitete das, was er herausgefunden hatte, einfach vor uns aus und hoffte, daß der Leser sich aufregen und, hoffentlich, wehren würde“.
Es besteht kein Zweifel daran, daß Stones Herz auf der linken Seite schlug, in seiner Jugend sympathisierte er mit dem russischen Anarchisten Kropotkin, doch hätte er sich selbst eher als radikalen Demokraten definiert, für den die amerikanische Unabhängigkeitserklärung größere Bedeutung hatte als die gesammelten Werke von Marx und Lenin. Bis Mitte der fünfziger Jahre war er der Sowjetunion noch wohlgesonnen, aber nach einem Besuch im Jahre 1956 urteilte er: „Dies ist keine gute Gesellschaft, und sie wird nicht von ehrenhaften Männern geführt.“ Im April 1987 bewertete er die Reformbemühungen Gorbatschows in einem Beitrag für die linksliberale Wochenzeitung 'The Nation‘, deren Redaktion er bis zu seinem Tod angehörte, mit den folgenden Worten: „Es gibt viele Gründe zur Wachsamkeit in unserer Bewertung, aber nur wenige für die säuerliche Sichtweise, daß die USA nichts zu gewinnen, aber vielleicht sogar einiges zu verlieren habe, falls Gorbatschow mit seinen Demokratisierungsbemühungen vorankommen sollte.... Das Schicksal der beiden nuklearen Supermächte ist verknüpft, wir werden gemeinsam leben oder sterben“.
Neben den Beiträgen für die 'Nation‘ arbeitete er die letzten Jahre vor allem an seinem 1987 veröffentlichen Buch über den fast 2.400 Jahre zurückliegenden Prozeß gegen Sokrates, das überraschend zum Bestseller wurde. Seinem journalistischen Credo gibt es kein Wort hinzuzufügen: „Die Wahrheit zu berichten, wie ich sie sehe, die Schwachen gegen die Starken zu verteidigen, für Gerechtigkeit zu kämpfen und, so gut ich es kann, mit einem Versöhnung anstrebenden Blick auf die schrecklichen Haßgefühle und Ängste der Menschheit zu schauen, dabei hoffend, daß wir einmal in einer Welt leben, in der die Menschheit sich an den Verschiedenheiten des menschlichen Gartens erfreut, anstatt sich über sie umzubringen.“
Stefan Schaaf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen