piwik no script img

Ostsee-Konferenz im lettischen Riga geplatzt

Sowjetische Behörden gingen gegen das erste Internationale Treffen der Umweltgruppen vor / Die Konferenz wurde von Beginn an behindert und vom Verbot bedroht / Am Mittwoch umstellten Soldaten und Polizisten das Tagungsgebäude  ■  Aus Riga Wieland Giebel

Der lettische Club zur Verteidigung der Umwelt hatte zu einer internationalen Konferenz zur Ostsee nach Riga eingeladen, der ersten wirklichen „Basisveranstaltung“ zu diesem Thema. 35 bundesdeutsche TeilnehmerInnen kamen, dazu Umweltschützer aus Schweden, Finnland, Holland, den USA und zwei aus der DDR. Eine Woche nach dem Gorbatschow-Besuch in der Bundesrepublik und drei Tage, nachdem eine Delegation aus Riga in Bremen war, kommt es jetzt in Lettland zum Eklat: Die TeilnehmerInnen stehen vor der Ausweisung.

Dabei fing alles so gut an. Vor einem Jahr trafen sich die Aktivisten der Aktionskonferenz Nordsee in Leningrad mit Mitgliedern des lettischen Umweltclubs. Wegen der deutsch -sowjetischen Morgendämmerung rechnete man sich beste Chancen für eine gemeinsame Konferenz aus. Erste Probleme traten mit den Visa auf, die so kurzfristig erteilt wurden, daß sie von der sowjetischen Botschaft direkt zum Flughafen gebracht werden mußten. In Leningrad angekommen, war es zunächst vollig unklar, wie es weitergehen sollte. Ein Bus brachte die Teilnehmer dann nach Riga.

500 Kilometer ging es entlang der baltischen Küste - eine 500 Kilometer lange Demonstration der Umweltzerstörung: Kiefern und Fichten lassen ihre Äste hängen, ausgenadelte Bäume mit dürren Kronen - alles Zeichen für die Säure in Luft und Boden. Die Schlote der chemischen Industrie qualmen wie in einem Propagandafilm von Sergej Eisenstein, in dem die Kapitalisten in Zylindern auftreten und die Arbeiterklasse hungert. In Riga angekommen, stand immer noch nicht fest, ob die Konferenz im Tagungshaus in Edole, 150 Kilometer von Riga entfernt, überhaupt stattfinden würde. Die Genehmigung durch die Behörden war Monate zuvor beantragt worden. Vergeblich: In Riga und in dessen Badeort Jurmala liefen hohe Parteikader gegen die Konferenz auf. Der Bürgermeister von Riga wies auf den Rückgang des Tourismus hin, der zu ernsthaften ökonomischen Problemen führe.

Doch der Tourismus hat hier längst seinen Glanz verloren. Die meisten großen Städte besitzen keine oder nur schlecht funktionierende Kläranlagen. Die Bakterienverschmutzung liegt 20fach über normal. Baden ist wegen der Infektionsgefahr schon lange verboten. Am Tagungsort in einem alten Schloß hatten die Veranstalter inzwischen für mehr als 100 TeilnehmerInnen alles vorbereitet. Es sollte die erste Konferenz sein, die ausschließlich von einer Umweltorganisation einberufen wurde. Zuvor hatte es zwar Treffen der Grünen mit der KPdSU gegeben. Auch durften bundesdeutsche Aktivisten auf Einladung des sowjetischen Schriftstellerverbandes sogar nach Tschernobyl fahren. Doch diese Konferenz war ein Novum: die Basis als Veranstalter. Schon auf der Anfahrt zum Konferenzort war der Bus von der Polizei angehalten worden, weil dieses Gebiet „für Ausländer nicht genehmigt“ sei. Sechs Störche auf dem benachbarten Feld beäugten interessiert die Polizeiaktion. Doch schließlich ging es weiter.

Der Konflikt zwischen den konservativen Betonköpfen und der ökologisch orientierten Reformfraktion spiegelt sich in den Hemmnissen vor der Konferenz wider. Zusätzliche Brisanz hat der Konferenzort durch die Forderung der baltischen Staaten nach Unabhängigkeit. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt waren sie zur Sowjetunion gekommen, heute verlangen sie Autonomie. Sie berufen sich dabei auch auf die gemeinsame Erklärung von Kohl und Gorbatschow, die das Selbstbestimmungsrecht der Völker unterstreicht. Wegen dieses Konflikts war die Ostsee -Konferenz mit ausländischen Teilnehmern ein doppeltes Ärgernis. Und mit diesem Ärgernis wollte man jetzt aufräumen.

Der Bus durfte die Polizeistreifen noch passieren. Aber heute, am zweiten Tag der Konferenz, ist es soweit: Das lettische Innenministerium verlangt das Ende der Konferenz. Während ich diesen Bericht nach Berlin spreche, stehen sowjetische Soldaten und Polizisten vor dem Konferenzgebäude. Busse des Ministeriums stehen bereit, um die Delegationsteilnehmer einzuladen und wegzubringen. Die Konferenz war zwar vorübergend in Gang gekommen, aber niemand hat sich unter diesem Damokles-Schwert des drohenden Verbotes richtig auf die Inhalte konzentrieren können. Jetzt scheint die Konferenz endgültig beendet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen