: „Unrechtsgehalt verhältnismäßig gering“
Vertrauliches Protokoll einer Besprechung zwischen Vertretern der verschiedenen Regierungsressorts zur „U-Boot-Affäre“ ■ D O K U M E N T A T I O N
Betr.: Veräußerung von Konstruktionsplänen (sog. Blaupausen) für den Bau von U-Booten an die Republik Südafrika durch die Howaldtswerke/Deutsche Werft AG in Kiel und das Ingenieurkontor Lübeck ohne Genehmigung der zuständigen Stellen; hier: Strafverfolgungsermächtigung nach § 353bAbs.4 StGB
Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Kiel hat die Bundesregierung, vertreten durch den Bundesminister für Wirtschaft, gebeten, gem. § 353bAbs.4 StGB die Ermächtigung zu Strafverfolgung von Angehörigen der o.a. Firmen wegen des Verdachts der unbefugten Weitergabe von VS-eingestuften Unterlagen an Südafrika im Zusammenhang mit dem o.a. Projekt zu erteilen. Ob eine derartige Ermächtigung erteilt werden soll, war heute Gegenstand einer Ressortbesprechung, in der neben unserem Hause das Bundeskanzleramt, das Auswärtige Amt, der Bundesminister der Verteidigung, der Bundesminister der Finanzen und der Bundesminister der Justiz vertreten waren. Erörtert wurden folgende Fragen:
1. Anfangsverdacht Die Beteiligten waren der Auffassung, daß unser Haus bei der Entscheidung über die Erteilung der Ermächtigung nicht befugt ist, selbständig zu prüfen, ob ein „Anfangsverdacht“ vorliegt. Insoweit ist unser Haus an die tatsächlichen Feststellungen der Staatsanwaltschaft Kiel gebunden.
Weiter wurde die Auffassung vertreten, daß auch in den Erwägungen, die der Entscheidung unseres Hauses zugrunde gelegt werden, nicht auf etwaige „Stärke“ oder „Schwäche“ des Anfangsverdachts abgestellt werden soll.
2. Interesse der Firmen und Belange der Rüstungswirtschaft Von dem Vertreter des BMF wurde darauf hingewiesen, daß bei Erteilung einer Ermächtigung mit nachteiligen Folgen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung der beiden Firmen zu rechnen ist (erhebliche Erschwerung von künftigen Aquisitionen im U-Bootbereich bei ausländischen Auftraggebern), weil mit einem Strafverfahren mit Sicherheit eine negative Publizität für die beiden Firmen verbunden wäre. Zwar müsse damit gerechnet werden, daß auch eine Verweigerung der Ermächtigung eine negative Publizität auslösen könne, weil dann der in der Öffentlichkeit bereits bekannte Verdacht eines Verstoßes gegen § 353bAbs.2 StGB nicht ausgeräumt werden kann. Diese Folge sei aber bei Abwägung aller Umstände eher hinzunehmen; denn man müsse damit rechnen, daß ein Strafverfahren voraussichtlich mehrere Jahre bis zu seinem rechtskräftigen Abschluß dauern werde mit der Folge, daß die Firmen dann immer wieder in die „Schlagzeilen“ gerieten, während eine Verweigerung der Ermächtigung nur zu einer einmaligen publizistischen Behandlung des Problems führen werde.
Die Vertreter des BMVg und die Angehörigen von ZB teilten diese Auffassung und wiesen zusätzlich darauf hin, daß die Bundesmarine ein dringendes Interesse an der Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen U-Bootindustrie hat, die jedoch nur gewährleistet sei, wenn die deutschen Firmen auch aus dem Ausland Aufträge erhielten. Zur Zeit gehe es vor allem um einen U-Bootauftrag aus Spanien, über den im Herbst 1989 entschieden werden soll, und es sei nicht auszuschließen, daß die spanische Entscheidung durch die mit einer strafrechtlichen Verfolgung verbundene Publizität negativ beeinflußt werde.
3. Außenpolitische Aspekte Der Vertreter des AA hielt es nicht für ausgeschlossen, daß Indien auf eine Verweigerung der Ermächtigung negativ reagieren werde und das diese außerdem zu Angriffen aus den Kreisen der Apartheidgegner gegen die Bundesregierung führen könne.
Er vertrat aber die Auffassung, daß diese „Prognosen“ bei der Entscheidung über die Erteilung der Ermächtigung unberücksichtigt bleiben sollten.
4. Innenpolitische Aspekte Vom Verteidigungsministerium wurde darauf hingewiesen, daß die Vertreter der Bundesregierung bei ihrer Anhörung durch den 1.Untersuchungssausschuß des 11.Deutschen Bundestags mehrfach erklärt hätten, daß von ihnen bei Prüfung der Firmen keine Hinweise festgestellt worden seien, die auf die Weitergabe von VS-Unterlagen durch die Firmen an Südafrika schließen lassen. Eine Erteilung der Ermächtigung könne daher in der Öffentlichkeit zu dem Eindruck führen, daß die damaligen Erklärungen unrichtig gewesen seien. Auf diese Argumentation wurde jedoch erwidert, daß die Staatsanwaltschaft in Kiel die Richtigkeit der damaligen Erklärungen von Vertretern der Bundesregierung nicht in Zweifel ziehe, sondern das Ermittlungsverfahren darauf stützen werde, daß möglicherweise Unterlagen, die den Vertretern der Bundesregierung damals nicht bekannt waren, nach Südafrika geliefert worden sind.
Alle Beteiligten waren sich einig, daß bei einer Verweigerung der Ermächtigung der Bundesregierung von interessierter Seite möglicherweise der Vorwurf gemacht wird, sie wolle entgegen ihren bisherigen Erklärungen das Verhalten von Angehörigen der Bundesregierung im Zusammenhang mit der „U-Boot-Affäre“ vertuschen. Inwieweit diesem Aspekt bei der Entscheidung über die Erteilung der Genehmigung Gewicht beizumessen ist, kann auf Fachebene nicht abschließend beurteilt werden.
Von Bedeutung dürfte diese Frage vor allem für das Bundeskanzleramt, das AA, das Bundesfinanzministerium und unser Haus sein, das Angehörige dieses Ressorts damals in irgendeiner Weise an dem Vorgang beteiligt waren. (...)
5. Rechtspolitische Aspekte Von Vertretetern des Verteidigungsministeriums und ZB wurde darauf hingewiesen, daß die mit einer Verweigerung der Ermächtigung zwangsläufig verbundene Durchbrechung des „Legalitätsprinzips“ hingenommen werden könne, weil der Unrechtsgehalt, der mit einer Weitergabe von VS-Sachen an Südafrika verbunden wäre, verhältnismäßig gering zu bewerten ist.
Selbst wenn formal sekretierte Unterlagen geliefert worden wären, hätte dies für sich allein noch keine schwerwiegenden Konsequenzen und müßte wegen der besonderen Umstände des Falles strafrechtlich als ein relativ geringfügiger Verstoß gewertet werden. Anders wäre der Sachverhalt nur dann zu beurteilen, wenn unter Verstoß gegen ein bestehendes Geheimschutzabkommen eines anderen Staates verraten worden wäre. Hinsichtlich der Identifizierung eines anderen Staates hat jedoch die Staatsgewalt bisher einen Anfangsverdacht ausdrücklich verneint.
6. Nach Auffassung der Vertreterin des BMJ ist es zweckmäßig, den beteiligten Firmen bzw. ihren Anwälten noch einmal förmlich „rechtliches Gehör“ zu gewähren. (...)
7. Die Vertreter des BK und des BMF stimmten „ad referendum“ der Verweigerung der Ermächtigung aus den zu Ziff. 2 und 5 dargelegten Erwägungen zu, erklärten aber, daß sie sich bis zum 1.Juni 1989 abschließend äußern werden.
Der Vertreter des AA erklärte, daß er sich eine Stellungnahme zu dem unter Ziff. 4 angesprochenen Aspekt ebenfalls bis zum 1.Juni 1989 vorbehalte. (...)
Bonn, den 24. Mai 1989
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