: „Warum sitzen wir denn überhaupt hier?“
China-Aktionstag in Frankfurt: Die deutsche Linke versucht, sich über ihre Position zur Entwicklung in China klar zu werden Ist das Kapitel der Reform nun endgültig vorbei, oder blieb der „Reformer/Diktator“ Deng lediglich seinen politischen Prinzipien treu? ■ Aus Frankfurt Rainer Kreuzer
Mit dem Massaker der 27. Armee am 3. Juni in Peking sei für die westliche Linke zum zweiten Mal eine Ära im Bezug zu China zu Ende gegangen, konstatierte der Frankfurter Politologe Ulrich Menzel am Mittwoch abend bei einer Podiumsdiskussion zum Thema China an der Frankfurter Universität.
Zuerst seien die Illusionen über China Ende der siebziger Jahre enttäuscht worden, anschließend habe man erneut Illusionen geschöpft, diesmal über die „Reformierbarkeit des Sozialismus“ und die „Liberalisierung“ durch Deng Xiaoping. Mit dem gegenwärtigen Terror, so Menzel unter sichtlicher Zustimmung der rund 300 StudentInnen im Saal, seien auch diese Illusionen zerplatzt.
Über die zentrale Frage des Abends - ob mit dem Blubad auf dem Tiananmen-Platz eine Ära in China zu Ende gegangen ist waren sich die Diskutanten uneinig. Während für Menzel das chinesische Kapitel „der Reformen und der Öffnung“ nun endgültig vorbei ist, betonte der Saarbrücker Ostasienexperte Eberhard Sandschneider die Kontinuität des Diktators Deng, der schon immer klargestellt habe, daß er an der politischen Macht der Partei nicht rütteln lasse und eine „Liberalisierung“ nur in der Wirtschaft wolle.
Er kritisierte den Mythos, der in den letzten zehn Jahren im Westen über Deng entstanden sei. Helmut Schmidt habe ihn gar zum „größten“ Staatsmann des 20. Jahrhunderts stilisiert. Doch wie konnte dieser Mann so plötzlich zum „blutrünstigen Faschisten“ werden?
Kritisiert wurde auch Gorbatschow. Ein Redner bezweifelte seine Glaubwürdigkeit im „neuen politischen Denken“, weil er nicht „den Mut“ gefunden habe, den Terror in China eindeutig zu verurteilen. Den westlichen Staaten wurde mehrfach Opportunismus vorgeworfen. Aus Rücksicht auf wirtschaftliche Interessen sei weder etwas unternommen worden, um den Militäreinsatz zu verhindern, noch erfolgten angemessene Sanktionen.
Ratlosigkeit, vor allem bei den chinesischen Kommilitonen, prägte die Stimmung im traditionsreichen Hörsaal VI. „Warum wir überhaupt hier sitzen, wenn wir ohnehin nichts tun können“, rief ein Chinese empört in den Saal. Zudem wird befürchtet, daß nun der chinesische Geheimdienst von der Bonner Botschaft aus mit schwarzen Listen „auf Jagd“ gehen werde. Chinesische Stipendien würden nun gestrichen, um StudentInnen zur Rückkehr in ihre Heimat zu zwingen. Für den 30. Juni kündigte die Arbeitsgemeinschaft „Solidarität mit dem chinesischen Volk“ eine Großdemo mit Trauerfeier in Frankfurt an. Der „Verband chinesische Studenten und Wissenschaftler“ plädierte dafür, die StudentInnen -Sprecherin Cai Ling für den nächsten Friedensnobelpreis vorzuschlagen und rief zu Protestbriefaktionen an die Pekinger Führung sowie zu Mahnwachen auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen