: Ernüchterung über „unsere Frau“ im Amt
■ Die Berliner Frauensenatorin Anne Klein will nach 100 Tagen noch keine Bilanz über ihre Politik ziehen
„Das ist ein riesiges historisches Unterfangen, das wir uns vorgenommen haben.“ Anne Klein, Berlins Senatorin für Frauen, Jugend und Familie, will nicht, daß schon jetzt eine erste Bilanz ihrer Regierungsarbeit gezogen wird. Was seien schon hundert Tage Frauensenat gegen dreitausend Jahre Patriarchat? Die energische Senatorin, die direkt aus der Berliner Frauenszene kam, kämpft gegen den Vorwurf, politisch noch nichts bewegt zu haben. „Wir haben es uns nicht so schwierig vorgestellt, in die verkrusteten Strukturen der Verwaltung reinzukommen“, resümiert sie ihre Erfahrungen der ersten Wochen. Für Anne Klein, weder in der Verwaltung noch in der Parteipolitik erfahren (sie ist nur AL-nah), glichen die ersten 100 Tage des rot-grünen Senats deshalb auch einem Schnellkursus in politischer Praxis.
Von den insgesamt acht Senatorinnen ist sie jedoch nicht die einzige „Seiteneinsteigerin“. Auch deshalb wollen die neuen Frauen im Senat gemeinsam einen anderen Politik- und Führungsstil entwickeln. Anne Klein: „Wenn ich kooperativ bin, wird mir das von meinen Mitarbeitern schnell als Schwäche ausgelegt. Wenn ich dagegen zackig auftrete, werden meine Anweisungen befolgt.“ Die anderen Senatorinnen machen in ihren Häusern gleiche Erfahrungen.
„Neue Maßstäbe“ für die Frauen-, Jugend- und Familienpolitik mit dem Schwerpunkt Förderung und Hilfe für Frauen und Mädchen, so stellte Anne Klein auf den Grundlagen des SPD-AL-Koalitionspapiers ihr erstes Programm vor. Vorläufige Bilanz: Die finanzielle Eigenbeteiligung für die Bewohnerinnen der Frauenhäuser wurde gestrichen. Querelen gibt es um ein Mädchenhaus: die Projektgruppe fordert 2,3 Millionen und 17 Planstellen. Der Senat jedoch hält diese Forderung für überzogen. Schließlich wollten andere Projekte auch noch Geld. In anderen Städten arbeiteten die Mädchenhäuser mit weniger Personal. Allerdings unter Bedingungen, die sich die Berlinerinnen auf keinen Fall zumuten wollen. Das Prestigeprojekt „Mädchenhaus“ wird der Senat schwerlich kippen wollen - lieber sucht man sich eine Gruppe, die es billiger macht.
Ein Antidiskriminierungsgesetz (ADG) auf Landesebene ist bereits im Koalitionspapier angekündigt. Bei der Frauensenatorin ist dieses Vorhaben gut aufgehoben; hat sie doch als Fachfrau bereits am ADG der Grünen mitgearbeitet. Doch die Arbeit im Frauenreferat kann erst losgehen, wenn die bewilligten 13 Planstellen besetzt sind - und das ist erst in zwei Tagen der Fall. Bisher versuchte die neue Führungsriege den geerbten 600köpfigen MitarbeiterInnenstab in Bewegung zu setzen. „Da ist es doch kein Wunder, wenn noch keine klare politische Linie nach außen zu erkennen ist“, wehrt sich Anne Klein gegen Vorwürfe aus der Frauenszene, sie habe bisher kein politisches Konzept.
Politische Rückenstärkung wünscht sich die Frauensenatorin in Zukunft von einem Beirat aus unabhängigen Frauenpolitikerinnen und Feministinnen. Eine Art feministischer Thinktank. Ein Novum in der Frauenpolitik.
Anne Klein gilt in der Frauenszene als „unsere“ Frau in Schöneberg. Ein regelrechter (Real-)Politikboom hat eingesetzt. Feministinnen wollen mitmischen in den Institutionen. Ein Teil der Bewegung fühlt sich mitgewählt durch die autonome, frauenliebende Senatorin. Der einst kleine Zirkel FrauenfrAKTION hat als „Königinmacherin“ (Anne Klein wurde von ihm gepusht) an Rang und Namen gewonnen. Anne Klein rekrutiert ihre Mitarbeiterinnen aus diesem und verschwesterten Kreisen. Sigrid Haase, Frauenreferentin der AL: „Der Frauenbereich ist ein Chaos. Immer mehr neue Frauen wollen einsteigen.“
Neu ist auch das Lesben- und Schwulenreferat, offiziell „Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen“. Zwei Personalstellen stehen bisher zu Verfügung. Lesben und Schwule sind empört, hatten sie doch je acht gefordert, ermuntert auch durch Herrn Momper, der großzügige Ausstattung in Aussicht stellte. Richtig Zoff gibt's um den Topf zur Förderung der Frauenforschung, der noch unterm CDU -Senat durchgeboxt wurde. Möglicherweise soll er zur Senatorin für Wissenschaft und Forschung transferiert werden. Dabei sind die Gelder vor allem für außeruniversitäre Forschung vorgesehen. Anne Kleins Argument: Feministische Forschung sei dort besser aufgehoben. Doch Kritikerinnen vom Frauenforschungs-, -bildungs- und -informationszentrum (FFBIZ) oder der Frauenforschung an der Uni sehen innovative feministische Forschungsansätze dort eher gefährdet. Allgemein gilt natürlich die Forderung, Anliegen wie Anträge für Frauenprojekte offensiv in alle Ressorts hineinzutragen, um den ohnehin mager budgetierten Frauensenat zu entlasten. Die neuen Senatorinnen ließen hoffen. Doch die Verwaltung hat das Phlegma einer Schildkröte. Mehr als ein Antrag kam aus den Verwaltungen mit dem Vermerk zurück: Wir sind nicht zuständig. Gisela Vollradt, Mitglied im FFBIZ und „AK Staatsknete“, zieht daraus den Schluß: „Die neuen Senatorinnen haben auch nicht mehr Verständnis für Frauenpolitik als der alte Senat.“ Diese Meinung teilt auch das Feministische Frauengesundheitszentrum. Staatssekretärin Kleinert vom Senat Gesundheit und Soziales klagte bei einem Gespräch mit Frauengesundheitsprojekten über die „Rentnermentalität“ gewisser Gruppen, die immer nur Staatsknete forderten. Für Inhalt und Konzept von alternativer Frauengesundheitspolitik in der Stadt zeigte sie wenig Interesse und machte klar, daß dafür auch in Zukunft wenig Geld zur Verfügung stehen wird.
So ist die Frauenszene, aus der Anne Klein selbst kommt, mittlerweile ziemlich frustriert. Zuspruch dagegen bekommt die Senatorin von den eher traditionellen Frauenverbänden die der Frauenszene stets mit gemischten Gefühlen begegneten. „Die Frauensenatorin sollte sich über den Bundesrat darum kümmern, daß die Rentenreform frauenfreundlicher wird“, ist das Anliegen von Hilde Ribbe, Vorsitzende des Landesfrauenrats, der 32 Frauenorganisationen mit insgesamt 100.000 Mitgliedern umfaßt. „Ich bin solidarisch mit Frau Klein“, betont sie auf Nachfrage, „da habe ich keine Kritik. Denn 100 Tage sind doch keine Zeit.“
Ulrike Helwerth, Gunhild Schöller
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