: SED-Reformer unter Beschuß
■ Dresdener Parteichef Modrow zog den Unmut des SED-Politbüros auf sich / Modrow gilt als latenter Reformer und Moskauer Favorit bei der Honecker-Nachfolge
Ost-Berlin (ap) - Das Politbüro der SED hat den Dresdener Parteichef Hans Modrow öffentlich gerügt. Modrow, der seit 1973 SED-Sekretär in Dresden ist, galt zeitweilig als Moskaus Favorit für die Nachfolge Honeckers.
Modrow unterscheidet sich von den übrigen SED-Kronprinzen durch eine offenere Haltung gegenüber gesellschaftspolitischen Reformen und genießt im Bezirk Dresden große Sympathie bei der Bevölkerung. So kommt die am Freitag im Parteizentralorgan 'Neues Deutschland‘ dokumentierte Kritik nicht ganz überraschend. Sie wurde im Bericht des Politbüros an das 7.ZK-Plenum am Donnerstag vorgebracht. Daraus geht hervor, daß eigens eine ZK -Arbeitsgruppe eingesetzt wurde, um dem SED-Bezirk „Unterstützung“ bei der „politischen Massenarbeit“ zukommen zu lassen. Modrows Parteibezirksorganisation habe - so der Politbürobericht - zu wenig gegen „bürgerliche und feindliche Auffassungen“ getan, seine Offensivkraft habe zu wünschen übriggelassen; zudem sei die Niveauerhöhung in Industrie und Bauwesen nur schleppend vorangekommen.
In Dresden fand im Februar 1988 eine große Demonstration von Ausreisewilligen statt. Zudem ist die Zahl der Menschen, die in den Westen ausreisen wollen, dort besonders hoch. Zum letzten Mal hatte das Politbüro 1978 den Bezirk Magdeburg gerügt. Dort hatte sich die Wirtschaft auffällig schlechter entwickelt als in den übrigen DDR-Bezirken. Als Konsequenz wurde damals der Parteisekretär des Bezirks abgelöst.
DDR-Sicherheitskräfte haben am Donnerstag abend in Ost -Berlin rund 30 Menschen festgenommen, die bei der Chinesischen Botschaft ein Protestschreiben gegen die Hinrichtungen in China übergeben wollten. Nach Angaben aus Kirchenkreisen wollten die Mitglieder von Friedens- und Menschenrechtsgruppen geschlossen zum Botschaftsgebäude im Bezirk Pankow ziehen. Dabei seien sie von Volkspolizisten gestoppt, auf zwei Lastwagen verladen und abtransportiert worden.
Wie es ferner hieß, sollen die Festgenommenen auf den Revieren verhört worden sein. Dabei sei es vereinzelt zu gewalttätigen Übergriffen gekommen. Gegen alle Beteiligten, die noch in der Nacht wieder freigelassen wurden, verhängte die Polizei Ordnungsstrafen.
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