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Der Blick auf die Opfer

■ Gesucht wird... Der Plutoniumtod, ARD, Donnerstag, 20.15 Uhr

Das künstlich hergestellte Plutonium ist das Element dieses Jahrhunderts. Zu seiner Toxizität gibt es eindrucksvolle Zahlen. Am eingängigsten ist das Pampelmusen-Beispiel: Eine Menge Plutonium, die der Größe dieser Frucht entspricht, würde ausreichen, die Erdbevölkerung umzubringen. Inzwischen haben wir nicht nur Pampelmusen, sondern mehrere hundert Tonnen von diesem giftigsten Produkt aus Menschenhand angehäuft. Und es gibt in vielen Ländern eine unbekannte Zahl von Menschen, die an Plutonium-Kontaminationen elendig leiden und sterben. Einen von ihnen, den Gebäudereiniger Necati Demirci, hat Christoph Fröhder in seiner Sendung vorgestellt. Demirci hat als atomarer Waschlappen gearbeitet. In den Plutoniumküchen der Alkem (Hanau) und bei Siemens/KWU in Karlstein hat er plutoniumverseuchte Handschuhkästen, Kessel und andere Gerätschaften gereinigt. Ohne Gefahrenbewußtsein, ohne Aufklärung, ohne Schutz. Vermutlich wußte Demirci nicht einmal, was Plutonium überhaupt ist.

In eindrucksvoller Weise hat dieser Beitrag gezeigt, daß die Skandalgeschichte der Atomwirtschaft eben nicht nur aus Haarrissen, Rohrleckagen, radioaktiven Freisetzungen, verletzten Grenzwerten und Entsorgungsproblemen besteht, sondern daß hier auch Menschen beteiligt sind, die ihren Kopf hinhalten.

Als ein britischer Fernsehreport über den Atomkomplex Windscale/Sellafield im Jahr 1980 die Krebsfälle in der Region zum Thema machte und Interviews mit Angehörigen und Opfern brachte, löste das mehr Reaktionen aus als alle Skandalmeldungen jemals zuvor. Wenn die Betroffenen vor Blumenfenstern oder Tapetenrauten im Plüschsessel sitzen und in einfachen Worten von ihren zerrütteten Körpern, von Leukämie, Krebs, Leiden und Tod berichten, immer dann wird das Gesicht des Atomzeitalters ein wenig sichtbar. Immer dann begreifen auch Nichtexperten und all jene, die den skandalträchtigen Nachrichten-Fallout aus den Atomanlagen weltweit sonst eher schulterzuckend quittieren.

Da es nur sehr schwer möglich ist, Krankheit und Tod direkt mit Atomunfällen oder mit Routinearbeit in Atomanlagen in Verbindung zu bringen, und da die meisten Atomopfer mit ihrer Krankheit lieber in der Anonymität sterben, ist der Blick auf die Opfer nur ganz selten möglich. Um so wichtiger sind solche Recherchen.

Auch die Entlarvung der Weltfirma Siemens als Kaninchenzüchterverein gehört zu den Highlights der Sendung: stotternde Strahlenschutzbeauftragte und ein Pressesprecher, der bestimmen will, was in welcher Form wie artikuliert gebracht und was zensiert wird. Der stöhnende Ausruf eines Mitzuschauers („Alle in die Luft jagen!!“) zeigte, daß gerade dieser Teil gut angekommen ist.

Der Gebäudereiniger Necati Demirci wird, wenn kein Wunder geschieht, in wenigen Monaten sterben. Es ist zu erwarten, daß noch um seinen Leichnam gekämpft werden muß. Sollte er nicht als atomarer Sondermüll beschlagnahmt werden, könnte er nach der Autopsie dort bestattet werden, wo Demirci in der letzten Einstellung des Films spazieren ging. Diese Friedhofsszene ging für meinen Geschmack zu weit. Man muß einen Krebskranken nicht unbedingt auf den Friedhof setzen, nur um ein paar schicke Bilder zu kriegen. Bis auf diesen Ausrutscher blieb der Film ein eindrucksvolles Zeugnis. Und er war eine Ausnahme in der sonst üblichen, „technischen“ Berichterstattung über Atomskandale.

Manfred Kriener

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