: ZWISCHEN DEN RILLEN
■ Desperado im El Dorado
I love America. I love America. I wake up every day and say Thank God for America! Imagine being a Russian or something - with all this misinformation they give you over there. They don't give the people the truth at all, you know? I mean, those Russians think that Billy Joel is a Rock'n‘ Roll singer. Can you believe it? Can you believe it?
Allein und mickrig steht Graham Parker auf der Bühne des Philadelphia Theatre of Living Arts, Kopf über die Stratocaster gebeugt, Sonnenbrille über den Augen, bewaffnet mit einer nörgelnden, quengelnden Mittelenglandstimme, beißend sarkastisch, grimmig oder ansatzlos down, ein Gegengift in den Gefilden des Allesganzprima, ein Desperado im El Dorado: I must get out at any price, for the feeling gets too nice.
Vor gut zwölf Jahren setzten Graham Parker and The Rumour das Herz in Flammen, die Beine in hektisch hopsende Bewegung und gaben wütend-juveniler Daseinsfreude ein Ventil, Cause you, a problem child, you ain't got no defense, nicht so sophisticated wie Elvis Costello, nicht so bollerproletig wie Ian Dury und seine Blockheads, einfach, schnell, mit hartem, treibendem Off-Beat, weinerliches Hippietum beiseite fegend, herausfordernd, selbstverständlich, da.
Graham Parker ohne Band, vor allem ohne den geradeausstürmenden Ausnahmegitarristen Brinsley Schwartz: eigentlich geht das nicht, aber dann geht es doch, und nichts fehlt. Die Musik ist auf den Gesang zusammengeschmolzen, die Gitarre wird nur sparsam eingesetzt, setzt percussive Akzente, hickelt den Gegentakt, gibt das Trampolin für die Stimme von Graham Parker: zärtlich wispernd, hoch und dünn, brüchig und schutzlos, dann dick und fett und warm, aggressiv, höhnisch, schneidend, zickend, provozierend. You can't be too strong: Energisch hebt die Stimme ab, strahlt, fliegt, schlägt unvermittelt in Verzweiflung um, Dur-Moll -Achterbahnen sind diese Songs, Wechselbäder aus Sehnsucht und Resignation, aus Euphorie und Schmerz. Black Honey is in my soul, Graham Parker gießt finstere Traurigkeit aus, kaut die Melodie Ton für Ton, quälend zäh und langsam, ein Lied wie ein Negerköpper vom Eiffelturm. Und dann, tückisch und rumpelstilzchenhaft, piesakt er wieder und stichelt: So if you think that's funny, I'm not really laughin‘ honey, your love-letters are confetti, I ripped them off my hands are sweaty - just can't get, just can't get, just can't get no protection., und die Gitarre macht tickedidick, kleine, feine, gemeine Nadelstiche.
Keine lärmende Fußpauke, keinen drückenden Bass, keine hetzende Sologitarre, keine Barriere hat Graham Parker vor sich aufgebaut, es gehört Mut dazu, so vor ein Publikum zu treten, mit offenem Visier. Graham Parker singt Graham Parker, unverwechselbar, ohne Konzession und vor allem: ohne Grinsen. Einiges von der unbekümmerten Rotzigkeit der Rumour-Tage ist abhanden gekommen, der Lack hat Narben gekriegt. Sehr allein in die Landschaft gepflanzt steht Graham Parker, ziemlich mit dem Rücken an der Wand, wie es scheint, aber lebendig und widerspenstig, ein Glasschneider, der über die Seele ratscht.
wiglaf droste
Graham Parker, LIVE! ALONE in America, Demon Records, RCA, Fiend 141
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