: Als Deutsche ins KZ - jetzt staatenlos
Zahlreichen deutschen Roma und Sinti, die die Konzentrationslager überlebten, wurde in den fünfziger Jahren die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt / Als Staatenlose können sie ausgewiesen werden ■ Aus Köln Jochen Arntz
Als Deutsche wurden sie 1940 in die Konzentrationslager deportiert - die Roma und Sinti, die als Kölner Bürger in der Stadt lebten. Als Überlebende wurden sie von den bundesdeutschen Behörden nach dem Krieg zu Staatenlosen erklärt. Auf dieses bisher kaum bekannte Kapitel der Diskriminierung, das auf Verfolgung und Deportation folgte, machten die Betroffenen jetzt auf einer Diskussion während eines bundesweiten Roma-Sommerfestes am Wochenende in Köln aufmerksam.
„Wir sind als Deutsche deportiert worden und wollen unsere Staatsbürgerschaft zurückhaben“, forderte Janosch Wernicke, der Geschäftsführer der Krefelder Rom-Union energisch während der Kölner Veranstaltung. Die zynische Praxis der Behörden, deutsche Roma und Sinti in den 50er Jahren zu Staatenlosen zu erklären, wurde nicht nur in Köln geübt. Harald Heller berichtete von ähnlichen Fällen aus Frankfurt. Kurt Holl vom Kölner Rom-Verein hat ähnliche Vorgänge aus der ganzen BRD dokumentiert.
Zu ihnen gehört Margarete Pohl, die die Lager Auschwitz, Ravensbrück und Buchenwald überlebte. In ihrer Bescheinigung über die Inhaftierung wurde Margarete Pohl von den alliierten Behörden die deutsche Staatsbürgerschaft bestätigt. Ihre Mutter Hulda Pohl war bis zu ihrem Tod Inhaberin eines bundesdeutschen Passes. Dennoch wird Margarete Pohl 1954 in Köln zur Staatenlosen erklärt und erhält einen Fremdenpaß. „In Köln erst bin ich staatenlos gemacht worden“, erklärte Margarete Pohl in Köln verbittert.
Staatenlos zu sein heißt nicht nur, kein Wahlrecht zu haben und die Versammlungs- und Berufsfreiheit nicht garantiert zu bekommen - Staatenlose können im Gegensatz zu Deutschen ausgewiesen werden. Viele der deutschen Roma und Sinti besaßen nach dem Krieg neue Ausweise oder von den Alliierten ausgestellte Kennkarten. Mitte der 50er Jahre aber wurden diese von den Behörden eingezogen oder nicht mehr verlängert, da die Roma und Sinti nach der Verfolgung ihre deutsche Staatsangehörigkeit nicht wie gefordert durch weitere Abstammungsurkunden nachweisen konnten. Eine zynische Forderung, da es in den NS-Richtlinien zur Deportation lautete: „Alle Ausweise und Legitimationspapiere werden eingezogen.“
So wird dem Kölner Sinti Martin Mettbach 1948 in seinem Wandergewerbeschein die deutsche Staatsangehörigkeit zugesprochen. 1955 aber führt ihn sein neuer Gewerbeschein als staatenlos. In einem langjährigen Einbürgerungsverfahren mußte Mettbach sich erneut um die Staatsbürgerschaft bemühen. Für seine Kinder wiederholte sich die Prozedur.
Kurt Holl nannte es „unerträglich, daß den Überlebenden von den Behörden die Beweislast für die deutsche Staatsbürgerschaft aufgebürdet wird“. Denn da die meisten Deportierten in den Lagern umgekommen sind, haben die Überlebenden kaum Zeugen für ihre deutsche Herkunft und verwandtschaftlichen Beziehungen. Gerade aber die Deportation ist - so zynisch es heute klingt - ein Hinweis auf die deutsche Staatsangehörigkeit der verschleppten Sinti und Roma, da in den NS-Anordnungen zur Durchführung der Deportation „Zigeuner mit fremder Staatsangehörigkeit“ ausdrücklich ausgenommen wurden.
Um eine Wiedergutmachung zu erreichen und die Nachteile der Staatenlosigkeit für die Betroffenen zu beseitigen, forderte der Kölner Rom-Verein am Wochenende: „Allen Deportierten muß die deutsche Staatsbürgerschaft ohne den Umweg individueller Einbürgerungsverfahren zugesprochen werden.“ Zugleich kündigte der Verein verstärkten Druck auf die Behörden an.
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