: „Wir sind Bürger zweiter Klasse“
Der Gefangene Nummer eins, der linke Nationalist Adem Dema?i, fordert die Gleichberechtigung der AlbanerInnen in einer jugoslawischen Republik ■ I N T E R V I E W
Adem Dema?i sitzt seit 28 Jahren mit kurzen Unterbrechungen wegen gewaltlosen politischen Verbrechen im Gefängnis. Der heute 53jährige Journalist und Romancier stammt aus einem Ort in der Nähe der albanischen Provinzhauptstadt Pristina. Das Interview mit Dema?i fand im Gefängnis von Stara Grachiska in Kroatien im Beisein von mehreren Wärtern statt. Es wurde am 26.Mai von der jugoslawischen Zeitschrift 'Mladina‘ veröffentlicht.
taz: Wollen Albaner nicht in Jugoslawien leben?
Adem Dema?i: Gegenwärtig sind wir Bürger zweiter Klasse. Als in den Jahren 1972 und 1973 die Verfasssungsreform vorbereitet wurde, vertraten wir in der öffentlichen Diskussion nachdrücklich unseren Wunsch, Kosovo sollte (innerhalb der jugoslawischen Föderation, Anm. d. Übers.) den Status einer Republik erhalten. Serbien war dagegen.
Waren Ihre Forderungen nicht übertrieben?
Alle Völker Jugoslawiens müßten gleichberechtigt sein. Damit wir Albaner gleichberechtigt sein können, brauchen wir eine Republik. Zwei Millionen Albaner leben in Jugoslawien, und es ist ein Fehler gewesen, daß man uns nicht als eines seiner Völker anerkannt hat. Wir können uns politisch nicht artikulieren. Es wird immer wieder behauptet, Albaner würden sich von Jugoslawien sofort loslösen, wenn sie ihre Republik bekämen. Das ist jedoch nur ein Vorwand dafür, uns keine Republik zu geben.
Aber, haben Sie sich nicht früher für die Loslösung eingesetzt? Wie kommt es, daß Sie sich jetzt mit der Republik zufriedengeben würden?
Es wurde mir klar, daß auch wir ein Interesse daran haben, in Jugoslawien zu leben, daß wir die gemeinsame Sprache mit den anderen finden könnten. Aber Albaner können in Jugoslawien nur als Gleichberechtigte leben. In der Zeit, als ich die Loslösung wünschte, dachte ich, sie ließe sich auf friedliche Art erreichen. Wir wollten aber auch Gewalt anwenden, sollte es auf friedliche Art nicht gehen. Vielleicht werden meine gegenwärtigen Ansichten, wonach wir unsere Rechte auch im Rahmen einer Republik verwirklichen können, einige meiner albanischen Landsleute enttäuschen. Vielleicht werden mich diese nicht mehr als einen der Ihrigen ansehen, aber für mich ist das nicht mehr wichtig. Alles, was ich wünsche, ist, daß es zu keiner Tragödie kommt.
Sie werden als Führer der albanischen Nationalbewegungen angesehen.
Ich habe dieser Bewegung eine linke Ausrichtung gegeben, bevor ich kam, war sie eine rechtsgerichtete Bewegung.
Meinen Sie, daß die Autonomie von Kosovo mit den letzten Verfassungsänderungen (vom März 1989, Anm. d. Übers.) verstümmelt worden ist?
Ja, das meine ich. Kosovo ist und bleibt das größte Problem Jugoslawiens. Je nachdem, wie sich der einzelne im Hinblick auf Kosovo äußert - ob er dafür ist, daß Albaner mehr Rechte bekommen, oder damit einverstanden ist, daß ihnen mit Hilfe einer enormen Gewalt Führungen, Programme, Verfassungen und ähnliches aufgezwungen werden -, können Sie sehen, wer in Jugoslawien für Demokratisierung eintritt und wer nicht. Man bringt uns die ganze Zeit in die Position von Sklaven. Ich werde sterben, und es ist besser so, denn es gibt etwas, wofür ich sterben kann. Es geht um den Weg zur Freiheit, um eine Notwendigkeit, und es gibt keine Macht auf der Welt, die mich daran hindern könnte.
Ist Ihre Art zu kämpfen nicht übertrieben, fanatisch?
Das ist kein Fanatismus, wir kämpfen um unsere Freiheit. Wer um Freiheit kämpft, ist kein Fanatiker. Waren etwa die Partisanen Fanatiker, als sie gegen den Faschismus kämpften?
Meinen Sie, daß es Kräfte gibt, die eine Veränderung der gegenwärtigen Situation bewirken könnten?
Nein, es gibt keine solchen Kräfte. Die jugoslawische Staatsführung handelt unter dem Druck Serbiens. Unter diesem Druck hat sie den Ausnahmezustand über Kosovo verhängt und Panzer dorthin geschickt. Weil es diesen Druck gibt, verhält sich die Führung opportunistisch. Mir scheint, daß einzig die Slowenen gezeigt haben, daß sie Gefühle für Jugoslawien hegen. Die kroatische Bevölkerung hat solche Gefühle gleichfalls hie und da gezeigt, die kroatische Bürokratie hat jedoch mehr Schaden als Nutzen angerichtet. Sie hat es möglich gemacht, daß in Belgrad Sekt geflossen ist, Sekt, der nach albanischem Blut gerochen hat. (Dema?i spielt hier auf Ereignisse an, die sich Ende März dieses Jahres in Jugoslawien abgespielt haben: Zur gleichen Zeit, zu der in Belgrad die serbische Verfassungsreform aufwendig gefeiert worden ist, hat es in Kosovo wegen der Einschränkung seiner Autonomie Demonstrationen gegeben, bei denen von Sicherheitskräften nach amtlichen Angaben 22 und nach inoffiziellen Schätzungen mehr als 100 Menschen erschossen worden sind, Anm. d. Übers.). Es ist ein Sieg gefeiert worden, der die schlimmste Niederlage gewesen ist. Kosovo sollte allen gehören. Es kann nicht ausschließlich serbisch sein. Ich bin überzeugt, daß Tito, lebte er heute, eine derartige Entwicklung nicht erlaubt hätte.
Wie steht es mit ihrem Verhältnis zum serbischen Volk heute? Hat sich da wegen der aktuellen Ereignisse etwas verändert?
Sehen Sie, ich habe nie behauptet, daß das ganze serbische Volk schuldig sei. Das serbische Volk hat mit dem, was uns angetan worden ist, nicht zu tun. In Kosovo selbst teilt die serbische Bevölkerung unser Schicksal mit uns: die Arbeitslosigkeit, die große Bevölkerungsdichte, die Luft und Wasserverschmutzung. Es wird dort kein besonderer Druck auf die serbische Bevölkerung ausgeübt. Der Druck lastet dort auf allen gleichermaßen. Vielleicht ist das nicht schön, daß ich es sage, aber ich habe unter allen Völkern, die in Jugoslawien leben, gerade das serbische Volk am liebsten. Aus den Schädeln der toten Serben (die im 14.Jahrhundert auf dem Amselfeld im Kampf gegen die Türken gefallen sind, Anm. d. Übers.) ist der Turm Celekula gebaut, und man muß hier auch die Opfer von Samarice oder Kragujevac (dort hat die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg an einem einzigen Tag mehrere Tausend Zivilisten als Geisel erschossen, Anm. d. Übers.) erwähnen. Ich ging in Belgrad zur Schule, was mein Verhältnis zum serbischen Volk ebenfalls beeinflußt hat. Und auch der serbische Sozialist Dimitrije Tucovic (Tucovic hat bereits vor dem Ersten Weltkrieg die serbische Expansionspolitik scharf kritisiert, Anm. d. Übers.) hat mich stark beeinflußt. Wir sind von Bürokratien voneinander getrennt worden.
Meinen Sie überhaupt nicht, daß auch Albaner für die Entstehung der gegenwärtigen Verhältnisse in Kosovo verantwortlich seien?
Jedes Volk hat seine Bastarde, und so gibt es auch bei uns einige Starrköpfe. Weil wir Albaner immer noch die Blutrache kennen, leben mehrere Hundert Menschen in Kosovo in einer Art Hausarrest. Und was unsere „Sünden“ betrifft - wahr ist, daß Kinder einige Male serbische Gräber beschädigt haben. Unsere Kinder haben gespielt, sie haben ein kleines Kindergrab umgegraben, und dann ist gesagt worden: Albaner zerstören unsere Gräber. Und es ist behauptet worden, daß wir ihre Frauen vergewaltigen, aber in anderen Gegenden, zum Beispiel in Belgrad, gibt es weit mehr Vergewaltigungen als in Kosovo. In Kosovo hat es in den letzten elf Jahren 25 Vergewaltigungen gegeben, dabei sind nur solche Fälle gezählt worden, in denen Serbinnen und Montenegrinerinnen Opfer gewesen sind. Was geschieht aber mit meinen Schwestern, mit Albanerinnen und Türkinnen? Eine Tat wird nur dann als politisch eingestuft, wenn eine Frau serbischer oder montenegrinischer Volkszugehörigkeit vergewaltigt worden ist.
Für Sie haben sich zahlreiche Schriftstellerverbände des Landes, die Helsinki-Gruppe, das PEN-Zentrum und andere eingesetzt. Es wurde Ihre Begnadigung gefordert. Was denken Sie darüber?
Ich weiß, daß Begnadigung für mich gefordert worden ist, und zwar wegen meines Gesundheitszustandes, meiner schlechten Augen, meiner Jahre, aus humanitären Gründen. Ich habe das nicht nötig. Was soll, wenn es um mich geht, ein solcher Humanismus. In einer Zeitung las ich, daß meine Belgrader Kollegen, Schriftsteller, gegen die Verurteilung einer Gruppe von sechs jungen Albanern seien, weil es sich um Kinder handele und weil die Hauptschuldigen nicht bestraft werden. Zugleich verurteilt der Schriftstellerverband nicht, daß während der Unruhen in Kosovo auf Menschen geschossen wurde und daß es Todesopfer gab. Trotz allem bewegen sich die Belgrader Schriftsteller innerhalb der Grenzen der Politik, die Slobodan Milosevic dem Land aufgezwungen hat. Sie haben bislang Milosevic unterstützt, weil sie sich mit ihm weitgehend, wenn auch nicht völlig, einig gewesen sind. Und jetzt, als er seine Aufgabe (die serbische Verfassungsreform mit der Einschränkung der Autonomie von Kosovo, Anm. d. Übers.) erledigt hat, da wollen sie ihn loswerden. Sie haben sich übrigens für meine Begnadigung eingesetzt, haben mich aber nie besucht, sind nicht gekommen, um zu sehen, wie es Adem geht. Dennoch tut es wohl zu wissen, daß es immer noch solche serbischen Intellektuellen gibt, die sich noch nicht vor den Karren von Milosevic haben einspannen lassen. Ich habe gelesen, was mit Bogdan Bogdanovic geschehen ist (der ehemalige Belgrader Oberbürgermeister Bogdanovic ist als ein entscheidender Kritiker vom Milosevic hervorgetreten und hat inzwischen alle politischen Ämter verloren, Anm. d. Übers.), und ich bin überzeugt, daß es noch viele andere von seiner Art gibt. Ich denke, daß viele Serben mit Milosevic‘ Politik nicht einverstanden sind, aber sie müssen schweigen.
Interview: Vesna Krgot und Goran Babic
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