: Serben feiern Niederlage gegen Türken
Hunderttausende von Serben versammeln sich am Mittwoch auf dem „Amselfeld“, dem historischen Schlachtfeld, um 600 Jahre nach der Niederlage gegen die Türken ihren Anspruch auf das Land Kosovo geltend zu machen / Die AlbanerInnen in Kosovo sollen aus dem Land vertrieben werden / Höhepunkt der Milosevic-Kampagne ■ Aus Budapest Roland Hofwiler
Genau vor 600 Jahren, am 28. Juni 1389 tränkte sich das Amselfeld voll Blut. Die serbischen Heere verloren gegen die Türken, die nach diesem Datum ihre 500jährige Herrschaft über weite Teile des Balkans begründeten. Heerführer Fürst Lazar und die mit Serbien verbündeten albanischen, bulgarischen und bosnischen Heere wurden während dieser Entscheidungsschlacht bis fast auf den letzten Mann niedergemetzelt. Das Reich Stefan Dusans, des „Kaisers der Serben und Griechen“, das neben dem heutigen Jugoslawien ganz Albanien einschloß und bis zum Golf von Korinth reichte, zerfiel. Der Mythos von den Helden des Amselfelds aber blieb bestehen. Ähnlich dem Nibelungenlied in Deutschland entstand nach 1389 ein Kosovoepos, in dem die furchtbare Niederlage beklagt und zum zentralen Ereignis der serbischen Geschichte emporgehoben wird. Fürst Lazar, der Erschlagene, stieg zum ersten nationalen Märtyrer auf. Und als schließlich 1459 der serbische Vasallenstaat vollends beseitigt war, sammelten sich die serbischen Bauern jährlich am 28. Juni in den Bergen um das Amselfeld, um an diesem „Vidovdan“ (St. Veitstag) zu schwören, die Freiheit wiederzuerlangen.
Und gerade in diesen Tagen, Jahrhunderte später, ist dieser Schwur lebendiger denn je. Wenn heute Hunderttausende auf das Amselfeld pilgern, ist der Höhepunkt einer nationalistischen Bewegung erreicht, die Millionen von Serben in ihren Bann gezogen hat. Kosovo Polje, das Amselfeld, ist mehr denn je zum Symbol der serbischen nationalen Erweckung geworden. Nur in der Zwischenkriegszeit, zwischen dem I. und dem II. Weltkrieg, konnten die serbischen Nationalisten ungehindert ihrer Helden gedenken und ans Grabmal Zar Lazars in der Belgrader Kathedrale pilgern.
Mit der kommunistischen Machtübernahme war es damit wieder vorbei. Schon 1945 verbot Staatschef Tito die nationalistischen Feiern. Mit seinem Sieg gegen die deutschen Nationalsozialisten und die italienischen Faschisten wollten er und seine Partisanen einen neuen Staat begründen: Jugoslawien, das alle Völker vereinen und nicht trennen sollte. Es sollte keinen Platz mehr geben für „nationale Mythen der Geschichte“ (Tito). Gerade der Mythos um das Amselfeld war ihm ein Dorn im Auge. Das „Herzland“ für Serbien ist Kosovo schon lange nicht mehr. Heute leben 1,7 Millionen Albaner, nur noch 110.000 Serben, 30.000 Montenegriner und einige Zehntausend Roma dort. Solange es in Jugoslawien, wenn auch in bescheidenem Ausmaß, wirtschaftlich aufwärts ging, spielten die nationalistischen Auseinandersetzungen nur eine untergeordnete Rolle.
Seitdem jedoch die wirtschaftliche Katastrophe um sich greift, seitdem der Lebenstandard auf Dritte-Welt-Niveau gesunken ist, „herrscht Nationalismus pur“. „Von Skopje bis Ljubiljana“, konstatiert das slowenische Wochenblatt 'Mladina‘, sei Jugoslawien nichts mehr, die eigene Nationalität jedoch alles. Schon jetzt könnten sich 60 Prozent der Slowenen eine Existenz außerhalb Jugoslawiens vorstellen. In der Republikverfassung ist kürzlich das Recht des slowenischen Volkes auf Austritt aus der jugoslawischen Föderation verankert worden. Überall knistert es: Auch in Montenegro und in Bosnien beginnen die nationalistischen und religiös motivierten Auseinandersetzungen, in Kroatien wachsen die Ressentiments gegen die Serben ebenso, wie umgekehrt die Ressentiments der Serben gegen die Kroaten. Nach einer parteiinternen Umfrage befürworten in Serbien mehr als zehn Prozent aller Parteimitglieder die „humane Aussiedlung“ der 1,7 Millionen Albaner aus der Provinz Kosovo. Tausende sind ganz offen: Sie wollen die Albaner aus ihrer Heimat vertreiben und überall in Jugoslawien „verstreuen“. Massenhaft ertönt der Ruf, den Altstalinisten Rankovic, der in den fünfziger Jahren einige Zehntausend Albaner in die Türkei umsiedeln ließ und Tausende albanischer Intellektueller hinter Gitter brachte, zu rehabilitieren. Der serbische Innenminister Rankovic, der 1966 wegen seiner Verbrechen im Kosovo von Tito abgesetzt wurde, ist heute in Serbien gerade deswegen wieder populär.
„Serbien den Serben“ heißt es auf Aufklebern, die überall in Belgrad und der serbischen Provinz zu finden sind. Ikonen serbisch-orthodoxer Heiliger, Porträts von Zar Lazar und Stefan Dusan zieren die Geschäfte, nationalistische und religiöse Gesänge, serbische Volksmusik und die Deklamation nationaler Literatur haben längst die westliche „dekadente“ Pop- und Rockmusik verdrängt. Belgrad schwelgt heute in seinen serbischen Gefühlen.
„Millionen werden kommen“, läßt Slobodan Milosevic verkünden. War er es, der im März die Panzer nach Kosovo entsenden ließ, um die albanischen Jugoslawen in Kosovo zu unterdrücken, und sich nicht um die Proteste aus anderen Landesteilen scherte, so hat er jetzt die staatliche Einheit wiederentdeckt. Er will Jugoslawien unter seiner Herrschaft neu begründen. Doch gerade durch seine Politik sind die anderen Nationalitäten herausgefordert, sich selbst zu definieren. „Durch Milosevic‘ Weigerung, an einem Gespräch zwischen allen Nationalitäten teilzunehmen, wird der kommende Parteitag im Dezember nur eines definieren: daß Jugoslawien ein Land eigenständiger Fürstentümer geworden ist“, schreibt Tijanic, Jugoslawiens Starkolumnist, in der neuesten Ausgabe des Wochenblattes 'Nedjelnja Dalmacija‘. Noch ernster als der gebürtige Serbe Tijanic kommentiert die Ljubiljaner Tageszeitung 'Dnevnik‘ das Geschehen. Der Milosevic-Aufmarsch in Kosovo sei „faschistoid“. Und die Zeitung druckt als Beweis Leserbriefe ab, die die Stimmung in Serbien wiedergeben. „Serben, rüstet euch für die Schlacht, denn diesmal gewinnen wir“, heißt es. Daß die Kosovo-Schlachtenbummler dies ernst nehmen, scheinen Berichte zu beweisen, wonach viele bewaffnet nach Kosovo reisen.
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