: Wir töten, was wir lieben
■ Über das Geschäft mit geschützten Tieren und Pflanzen, 20.45 Uhr, West 3
Der Jäger bohrt zwei Finger in die Nasenlöcher und die Augenhöhlen des erlegten Tigers, damit sein Gehilfe das Fell über die Ohren ziehen kann. Dann wickelt er den enthäuteten Schädel in das blutende Fell und verpackt alles in eine Plastiktüte. Die Trophäen für den Präparator, das Fleisch für die Familie. Innerhalb eines Jahres hat Kavra im Regenwald von Sumatra 30 Tiger zur Strecke gebracht, der 31. ist nur eine halbe Portion und wird dem Jäger höchstens 300 Dollar bringen.
Ein Film, der nur Betroffenheit und Emotionen gegen diese Wilderei aufschaukeln wollte, würde so beginnen und noch mehr von dem blutigen Handwerk zeigen. Vielleicht das Tier mit lahmer Pfote in der Drahtschlinge, den Schuß aus der selbstgebastelten Flinte oder das lange Warten auf den Tod, weil die aus Zahnpastatuben gegossenen Kugeln zu kostbar sind für einen zweiten zum Gnadentod. Natürlich sind die Jagdszenen im dem Film 31 Tiger von Ron Orders und Parard Bondy ebenfalls enthalten, aber sie stehen erst am Ende, gleichsam als fatalistischer Schlußpunkt einer langen Kette von Ursachen.
Tiger und Jäger, wer hier Opfer und wer Täter ist, entscheiden andere. Zum Beispiel die Regierung Indonesiens. Sie treibt die Besiedlung des Urwaldes von Sumatra voran, um den Bevölkerungsdruck der Hauptinseln zu mildern. Breite Trassen durchfurchen nun den Regenwald, dessen Undurchdringlichkeit die Tiger bisher geschützt hatte. Mit dem Wald verschwindet die Lebensgrundlage der Raubkatze, so daß sie häufiger Haustiere in den neuen Siedlungen reißt. Auch der Jäger Kavra ist ein Opfer der Umstände. Die Kautschuk-Plantagen, auf denen Kavra früher gearbeitet hat, sind längst gerodet, weil das Naturprodukt mit synthetischen Stoffen nicht konkurrieren konnte. Jetzt jagt Kavra den Tiger, obwohl der Bestand schon so dezimiert ist, daß er auch um diese Einnahmequelle fürchten muß. Seinen Kindern hat er nicht mehr beigebracht, wie sie eine Falle bauen müssen.
Die nüchternen Bilder, die nicht anklagend, sondern eher mit einer Spur von Trauer fotografiert sind, durchziehen alle Folgen der neunteiligen Reihe Wir töten, was wir lieben. Die Ökologie-Redaktion des WDR hat in Zusammenarbeit mit dem britischen Channel 4 in beispiellosen Beiträgen dokumentiert, daß das Artensterben nicht allein aus den skrupellosen Geschäften einiger Tierhändler resultiert, sondern einem globalen Denken entspricht, das über Tiere und Pflanzen immer noch beliebig zu verfügen glaubt. Aus dem ursprünglichen Anstoß zu dem Projekt, vor allem das internationale Geschäft mit bedrohten Arten aufzuzeigen, hat sich für Dieter Kaiser (Redaktion) ein viel umfassenderes Bild ergeben: „Artenschutz wird sich nur dann durchsetzen, wenn sich die Lebenswirklichkeit der ärmeren Länder ändert.“ Der Finger am Abzug ist für viele „Wilderer“ einfach nur die Frage des Überlebens.
Die erste Sendung der neuen Reihe beginnt konsequent dort, wo die Folgen des Handelns am wenigsten bewußt sind, mit dem Krokodil in der Bandewanne, der Leguan auf der Wohnzimmercouch, der Papagei, der in der Tiershow auf einem Roller turnt, die Taucherin mit ihren Haien im Swimmingpool. Der selbstverständliche Umgang mit exotischen Tieren scheint sich vor allem darin zu erschöpfen, möglichst ausgefallene Exemplare zu halten.
Daß das Washingtoner Artenschutzabkommen nur noch dazu benutzt wird, um es zu umgehen und die Sammlung durch Verbotenes attraktiver zu gestalten, zeugt von der Unverfrorenheit sogenannter Tierliebhaber. Hier bleibt der Film jedoch zu vorsichtig. Jede Position wird durch den Kommentar eines hölzernen Experten abgesichert, der sein Statement augenscheinlich auswendig gelernt hat. Die Redaktion hätte sich an die ausgezeichnete Argumentation von 31 Tiger (Sendetermin: 4. Juli) halten sollen. Fakten und saubere Recherche müssen nicht noch einmal von einem Experten bekräftigt und damit verwässert werden.
Christof Boy
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