: Polenmarkt-betr.: "Nachruf auf eine Utopie", taz vom 21.6.89
betr.: „Nachruf auf eine Utopie“, taz vom 21.6.89
(...) Was kann er denn käuflich erworben haben auf dem polnischen Markt, der Herr Hartung, wie ich versuche, ihn mir vorzustellen? Butter, wenn ich ihm glaube. Mir weht der Vorschlag einer „politischen Humanität“ entgegen, die für die anderen, fürs Volk gemacht sein soll, indessen man selbst deren Inanspruchnahme nicht nöitg hat. Komisch. (...)
Es wäre wünschenswert, wenn sich ein Bewußtsein verbreitete, daß die auf der Welt resp. Europa, bestehenden ökonomischen Niveauunterschiede anachronistisch geworden sind, nur handelt es sich dabei in erster Linie um quantitativ verlaufende Änderungsvorgänge, denen eine Politik des absoluten Ja oder Nein nicht hilft. Hartungs krakeelen so herum, sogenannte Republikaner krakeelen andersherum, die Verlogenheit „linker“ (Ausländer-)Politik bemißt sich in Wahlergebnissen letzterer.
Wer denkt über graduelles Ermöglichen ausländischer Märkte hier nach. Grade, die sich danach zu richten hätten, in welchem Maße Menschen durch persönlichen Umgang Einsicht in die Lage der anderen, Bemittelteren oder Wenigerbemittelten, gewinnen können? Derweil soll Herr Hartung Polen ihre Reisekosten ersparen und sich die Butter dort kaufen, seinen republikanischen Nachbarn aus dem Märkischen Viertel als Reisebegleitung.
Hans-Christian Krüger, Berlin 21
Klaus Hartung, der das Koalitionsprogramm der SPD/AL hymnisch feierte, spricht anläßlich des Verbots des Polenmarktes nur noch von der „Arie“ der multikulturellen Gesellschaft“, die keine praktische Konsequenz zeige, sondern nur „sozialarbeiterisches Modell“ resp. Utopie sei. Dieser Gebrauch des Begriffs „Utopie“ trifft den symbolischen Gehalt von identitätsstiftenden Floskeln in Partei- und anderen Programmen: kein Ort in der Realität. Einen absurden Schwenk vollzieht Hartung mit dem Satz: „Wieder einmal zeigen die Linken, wie wenig sie zögern, Utopien mit Polizeigewalt abzusichern.“
Welche Linke meint K.H.? Die SPD? Denn sprach nicht ein Mitglied der Verhandlungskommission vom revolutionärsten Programm seit der Novemberrevolution? Vielleicht die AL? Köstlich die Erklärung von M.Haberkorn („sozialpolitischer Sprecher“): „Wir haben in den Diskussionen gegen den Senatsbeschluß argumentiert... haben aber letztlich die Entscheidung mitgetragen... wir sind ja alle von der Senatsentscheidung überrascht worden.“ Alles in einem Interview (subversive Konfusion?). Also noch mal: Was hier mit Polizeigewalt abgesichert werden soll, ist keine Utopie. Aber eine Begriffsverwirrung und eine Verluderung des Sprachgebrauchs stellt ein solcher Kommentar schon dar.
Robert Lederer, Bochum 1
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