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Nicaragua: Das Ende der „konzertierten Aktion“

Enteignungen sorgen für neuen Streit mit den Privatunternehmern / Gerüchte über Währungsreform sollen Regierung weiter schwächen / Teuerungswelle nicht gestoppt  ■  Aus Managua Ralf Leonhard

Die Zeichen stehen auf Sturm. Nachdem die nicaraguanische Revolutionsregierung monatelang eine Verständigung mit dem Privatsektor gesucht hatte, ist jetzt wieder Konfrontation mit den Unternehmern angesagt. Letzten Mittwoch erklärte Agrarreformminister Jaime Wheelock drei Kaffeeplantagen zum sozialen Eigentum. Der Grund: Die betroffenen Kaffeepflanzer hätten Anarchie in der Produktion und soziales Chaos geschürt und andere Kaffeeproduzenten gegen die Regierung aufgewiegelt.

Noch vor wenigen Tagen hatte Wirtschaftsminister Luis Carrion die „Konzertierung“ mit dem Privatsektor beschworen, eine neue Phase im Verhältnis der Revolution zu den Privatunternehmern heraufdämmern gesehen. Seit der Verstaatlichung des Zuckerbetriebs San Antonio vor einem Jahr hat es in Nicaragua keine nennenswerten Enteignungen mehr gegeben. Die Bemühungen der Sandinisten um Verständigung mit dem Privatsektor sind allerdings von wenig Erfolg begleitet gewesen. Nur wenige Tage vor der Strafaktion gegen die Plantagenbesitzer war es dem Transportministerium nur knapp gelungen, einen Streik der Taxifahrer zu entschärfen. Die Regierung hatte über Nacht den Cordoba um mehr als 100 Prozent abgewertet und damit den Treibstoffpreis mehr als verdoppelt. Nach zwei Tagen im Ausstand, der auch die anderen Städte der Pazifikregion betraf, konnten die Taxigenossenschaften mit einem Kompromiß abgespeist werden. Sie können zwei Wochen zum alten Preis tanken und Ersatzteile mit 20prozentigem Rabatt einkaufen.

Gleichzeitig verkündete Präsident Ortega eine Lohnerhöhung für Staatsangestellte, die zwischen 30 und 50 Prozent schwankt. Bis Ende Juli soll es keine neuen Abwertungen mehr geben, versprach er. Die allgemeine Teuerungswelle konnte jedoch nicht gestoppt werden. In den staatlichen Supermärkten, die angehalten werden, wirtschaftlich zu arbeiten, wurden kurzerhand alle Preise verdoppelt. Filterzigaretten können überhaupt nurmehr in Dollars erworben werden. Lediglich das Wasser- und das Elektrizitätswerk verzichteten auf nennenswerte Tariferhöhungen, um den Effekt des Preisauftriebs etwas zu dämpfen.

Mehr als vier Monate lang war es der Regierung gelungen, mit einem Rezessionsprogramm die Inflation zu bremsen. Mit 20.000 Prozent war die Inflationsrate des Jahres 1988 von offizieller Seite beziffert worden; allein im Dezember wurden 126 Prozent gemessen. Ein Maßnahmenpaket, das im Januar in Kraft trat, den Haushalt empfindlich zusammenstrich, Tausende öffentlicher Angestellter auf die Straße setzte, die staatlichen Subventionen aufhob und den Zinsssatz an die Inflationsrate knüpfte, konnte die Hyperinflation zunächst abdämpfen. Während der Dollarkurs in den legalen Wechselstuben wochenlang stabil blieb, wurde der offizielle Bankkurs schrittweise angehoben, bis praktisch kein Unterschied mehr zwischen den beiden Wechselkursen bestand und selbst der Devisenschwarzmarkt immer mehr an Bedeutung verlor. Im April lag die Teuerung offiziell bei zwölf Prozent.

Gleichzeitig bemühte sich die Regierung um jene Verständigung mit dem Privatsektor, die unter dem Schlagwort „Konzertierung“ läuft. Es geht um die Schaffung eines Grundkonsenses als Voraussetzung für wirtschaftliche Stabilisierung. Die Regierung bietet den Produzenten Investitionsanreize, die Auszahlung der Exporterlöse in Dollars und Garantien gegen Enteignung. Die Agrarunternehmer sollen sich dafür verpflichten, ihr Kapital in den Anbau und nicht in ausländische Bankkonten zu stecken. Auch nach den jüngsten Enteignungen sollten diese Bedingungen gelten: Für jene, die ihre Bereitschaft zum Arbeiten gezeigt haben, erklärte Jaime Wheelock.

Daß die Inflationsrate im Mai wieder steigen würde, kam nicht überraschend, denn mit Beginn des ersten Agrarzyklus bei Einsetzen der Regenzeit besteht verstärkter Kapitalbedarf: Die Bauern müssen Saatgut, Dünger und Ersatzteile für die Maschinen kaufen. Gleichzeitig verfügen die Kaffee- und Baumwollpflanzer nach Abschluß der Ernte über reichlich flüssiges Geld. Anfang Juni verdoppelte sich der Parallelkurs für Dollars innerhalb weniger Tage. Ein völlig unverhüllter Schwarzmarkt entstand vor den Türen der Wechselstuben. Das Nationaldirektorium der FSLN, das die strategischen Entscheidungen kollektiv fällt, traf zu einer Krisensitzung zusammen und beschloß zu intervenieren: Zuerst wanderten die Devisenschwarzhändler im Zuge einer Blitzaktion hinter Schloß und Riegel, dann wurde der Cordoba mit einem Schlag von 9.500:1 Dollar auf 20.000:1 abgewertet. Der Effekt war die Teuerungswelle, die eigentlich vermieden werden sollte.

Die Ursache für das Scheitern der Stabilisierungspolitik liegt darin, daß Nicaragua keinerlei Reserven hat, um selbst die notwendigsten Investitionen wie etwa für den halbjährlichen Grundnahrungsmittelanbau zu finanzieren. Daniel Ortega hatte im Zuge seiner ausgedehnten Europareise im April und Mai versucht, frisches Kapital aufzutreiben. Mindestens 80 Millionen Dollar wären erforderlich gewesen, um den Landwirtschaftszyklus zu finanzieren. Von den 50 Millionen, die der Staatschef schließlich heimbrachte, sind lediglich 20 Millionen neues und flüssiges Geld, das aus Spanien und den skandinavischen Ländern kommt. Der Rest besteht aus alten Krediten, die an den Ankauf bestimmter Güter gebunden waren und jetzt flexibilisiert wurden, wie Wirtschaftsminister Luis Carrion gegenüber der taz erläuterte. Immerhin: Im günstigsten Fall können damit jetzt Waren in jedem beliebigen Land eingekauft werden.

Um die Produzenten zur Aussaat zu bewegen, mußte die Regierung erstens die Kreditzinsen senken und zweitens die Kredite vorfinanzieren. Mangels Kapitalspritzen mußte die Druckerpresse herhalten. Andere Länder in Lateinamerika bekommen solche Programme vom IWF oder der interamerikanischen Entwicklungsbank finanziert, klagte Planungsminister Alejandro Martinez Cuenca. Nicaragua, das im Laufe des letzten Jahres aus freien Stücken alle unpopulären Maßnahmen des IWF durchgezogen hat, bleibt die Belohnung verwehrt. Seit Jahren blockieren die USA in den internationalen Finanzsituationen jede Diskussion über eine Wiederaufnahme der Beziehungen zur Revolutionsregierung. Aus den sozialistischen Staaten sind flüssige Devisen kaum zu erwarten. Also bleibt der sandinistischen Regierung kaum eine Alternative zu regelmäßigen Bittgängen nach Westeuropa.

Die Nicaraguaner können von Glück reden, daß der Winter, also die Regenzeit, mit ein paar Wochen Verspätung begonnen hat. Denn so war es möglich, mit billigen Krediten noch einige skeptische Bauern zur Aussaat zu bewegen. Ein Engpaß bei Grundnahrungsmitteln in einigen Monaten ist aber jetzt schon abzusehen. Der drastische Rückgang des Hirseanbaus wird sich auf die Produktion von Hühnerfleisch und Eiern auswirken, denn Hirse ist das wichtigste Kraftfutter für das Geflügel. Es fehlt auch nicht an Spekulanten, die die Kredite nicht zum Anbau verwenden, sondern umgehend in Dollars verwandeln. Die Rendite, die beim Devisengeschäft winkt, ist sicher höher, wenn die derzeitige Inflationsrate nicht wieder gesenkt wird.

Für die Opposition, die einen wichtigen Teil des Grundnahrungs- und Exportanbaus kontrolliert, ist das Problem auch ein politisches. Sie kann nicht daran interessiert sein, zur wirtschaftlichen Stabilisierung beizutragen, wenn im kommenden Februar entscheidende Wahlen anstehen. Deswegen schüren Vertreter des Unternehmerverbands Cosep die zunehmende Unsicherheit mit gezielten Gerüchten über eine bevorstehende Währungsreform. Darauf werden sich die Sandinisten jedoch kaum einlassen. Denn eine Währungsreform hätte nur dann Sinn, wenn sie von stabilisierenden Programmen begleitet wird - dafür aber fehlt jedes Kapitalpolster.

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