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Stuttgarts Polizei prügelt wieder

Erneute Ermittlungen in Stuttgart gegen Beamte / Prügel, Sachbeschädigung und Nötigung im Dienst / Kollegen schweigen / Rechtsanwalt sammelt Fakten / Staatsanwalt eingeschaltet  ■  Von Hartmut Zeeb

Stuttgart (taz) - Wenn in den vergangenen Jahren Übergriffe der Stuttgarter Polizei ruchbar wurden, waren fadenscheinige Erklärungsvesuche schnell bei der Hand. Stets wurden sie als Einzelfälle abgetan. Die Sammlung, die Rechtsanwalt Rezzo Schlauch nun zusammengestellt und veröffentlicht hat, dürfte das Bild zurechtrücken. Nach seiner Untersuchung sitzen in den Wachstuben der problematischen Innenstadtreviere in jeder Hinsicht hoffnungslos überforderte Beamte, die ihren Frust - so scheint es jetzt - nur zu gern an Menschen abreagieren. Vor allem an denen, die eh zu den schwächsten der Gesellschaft gehören und sich meist nicht zu wehren wagen: Betrunkene, Drogenabhängige, Asylbewerber, Punks.

Im Sommer 1988 gegen 2 Uhr morgens erscheint ein angetrunkener Mann auf dem Posten Arnulf-Klett-Platz am Hauptbahnhof. Er will den Verlust seines Passes anzeigen, wird aber von den Beamten hinausgeworfen. In seinem Ärger schlägt er mit der Faust gegen das Blaulicht eines geparkten Streifenwagens. Dabei wird er über einen Monitor beobachtet. Sofort erscheinen Beamte, die ihn wieder in die Wache bringen. Einer von ihnen fährt den Wagen in den Hof, wo er ihn mit Fußtritten stark beschädigt, „so daß es zu einer Anzeige gegen den Betrunkenen reicht“. Später zieht er sich Lederhandschuhe an, kettet den Festgenommenen an ein Rohr, schlägt ihn wiederholt ins Gesicht und tritt ihn mit den Füßen. Sämtliche Beamte der Schicht bekommen die Vorfälle mit, keiner schreitet ein. Eine Woche später: Derselbe Beamte zerstört die Sonnenbrille eines eben festgenommenen Mannes und schlägt ihn anschließend brutal zusammen. Ein Tag später, 5 Uhr morgens: Ein Betrunkener wird in „Schutzgewahrsam“ genommen. Der Beamte zieht sich wieder mal die Lederhandschuhe an und schlägt zu. Er hört erst wieder auf, als er von einem Kollegen zurückgehalten wird.

Als auf die Nachforschungen des Dienstgruppenführers einen Monat später erstmalig ermittelt wird, versucht der Prügler seinen Kollegen, der gegen ihn aussagen könnte, so massiv unter Druck zu setzen, daß dieser um sein Leben fürchtet (Zitat aus den Ermittlungsakten: „Er hat mir so droht, daß er auch hätte sagen können, er verschießt mi.“)

Ende September 1988 kommt es zu einem Personalgespräch über die Weiterverwendung des Polizisten. Dieser gibt die Beschädigung des Dienstfahrzeuges (die er, ebenso wie seine Kollegen, für das schlimmste Vergehen hält) zu, bestreitet aber die Nötigung des Kollegen energisch. Über die wiederholte Körperverletzung und Freiheitsberaubung im Amt scheint er sich nicht allzu viele Gedanken zu machen. Er darf zu Recht davon ausgehen, daß dies nichts besonderes ist und kaum Folgen für ihn haben wird. Zwar wird er jetzt in den Innendienst versetzt, von einer Suspendierung wird vorerst abgesehen, eine Entlassung steht nicht im Raum. In Polizeikreisen hat die Tatsache, daß ein Beamter gegen den anderen aussagt, mehr Empörung ausgelöst als die im Dienst begangenen Straftaten. Denn die Übergriffe haben Tradition. Der Fall des amoklaufenden stellvertretenden Dienststellenleiters ist nur ein Beispiel aus der Liste, die Rezzo Schlauch zusammengestellt hat. Polizeisprecher Gaißmaier mußte gestern auf Anfrage die Vorwürfe im Wesentlichen bestätigen.

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