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Weit verbreiteter Irrtum-betr.: "Ohne Feindbild ist weitere Aufrüstung schwer möglich", taz vom 14.6.89

betr.: „Ohne Feindbild ist weitere Aufrüstung schwer möglich“, taz vom 14.6.89

Immer wieder stoße ich auf den offensichtlich weitverbreiteten Irrtum, die atomaren Mittelstreckenraketen seien bereits weg. Leider nährt nun auch die taz diese falsche Meinung.

Falsch ist diese Meinung deshalb, weil erst ein Bruchteil dieser Massenvernichtungsmittel wirklich verschrottet sind. Von den ehemals 36 Pershing II in Mutlangen beispielsweise wurden Ende letzten Jahres die ersten neun abgezogen. Die übrigen 27 Raketen werden weiterhin einsatzbereit gehalten.

In den letzten Wochen und Monaten wurden sie so häufig wie kaum je vor dem INF-Vertrag in ihre Stellungen hinausgefahren, wurden mit ihnen Abschußübungen gemacht, Ziele in der Sowjetunion ins Visier genommen, die Massenvernichtung erprobt. Das können wir hier leider viel zu oft miterleben.

Hier in Mutlangen ist noch immer in geradezu beklemmender Weise hautnah erfahrbar, daß es sich als eine vielleicht tödliche Illusion erweisen könnte, darauf zu bauen, die führenden Politiker würden das Geschäft mit der Abrüstung schon für uns machen. Diese Massenmordinstrumente, oft in greifbarer Nähe, vermitteln mir immer wieder das nachhaltige Gefühl - und dann auch die tiefe Einsicht: Es ist wichtig, gegen diesen Wahnsinn zu arbeiten. Es ist wichtig, sich von der öffentlichen Abrüstungseuphorie nicht in die Irre leiten zu lassen: Das Kriegführen wird täglich eingeübt - in Mutlangen und anderswo.

Doch die öffentliche Stimmung scheint anders zu sein. Gorbi ist auch hierzulande zum Hoffnungsträger geworden. Offensichtlich scheint das den meisten zu genügen. Oder wie anders ist das fast völlige Stillschweigen gegenüber der Tatsache zu erklären, daß die von der Nato beabsichtigten Kompensationen ohne großen Protest hingenommen werden.

Denn mit der Stationierung „luftgestützter Abstandswaffen“ können genau die Ziele von Pershing II und Cruise Missiles übernommen werden, wenn diese eines Tages wirklich wegfallen werden. Und das ist der eigentliche Skandal - und ein großes Versäumnis der Friedensbewegung -, daß diese ebenfalls unter das Paket von „Modernisierungen“ fallende neue Aufrüstung ohne große Aufmerksamkeit und ohne massiven Einspruch vollzogen werden könnte.

So wie wir uns vor Jahren gegen die Stationierung von jeder Pershing II und jeder Cruise Missile gewandt haben, so kann unser Motto in bezug auf Aufrüstung heute doch nur lauten: keine neuen Kurzstreckenraketen, keine anderen als „Modernisierung“ getarnten Aufrüstungsmaßnahmen!

Von der Bundesregierung ist ein Veto gegen die neuen Rüstungsmaßnahmen der Nato zu fordern. Das ist die einzige Möglichkeit, wie die Stationierung solch neuer Massenvernichtungsmittel durch die westliche Allianz wirklich verhindert werden kann. Damit würde die Nato gleichzeitig zur Aufgabe ihrer längst überfälligen Strategie der „flexiblen Antwort“ gezwungen. Und so würden sich Chancen für weitergehende Abrüstsungsmaßnahmen eröffnen.

Auskünfte zu Mutlangen: Friedens- und Begegnungsstätte Mutlangen, Forststraße 3, 7075 Mutlangen, Telefon 07171/75661

Michael Schmid, Friedensarbeiter in Mutlangen

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