: „Chinas Führung verzeiht nur nach dem Tod!“
Chinesische Studenten in der Bundesrepublik haben Angst vor Spitzeln aus Peking / Videos von Demonstrationen der letzten Wochen werden schon von Pekinger Geheimdienst ausgewertet / Kritik an der zögernden Haltung der Bundesregierung ■ Von Jürgen Kremb
Berlin (taz) - Angst vor Repressalien macht sich unter den Studenten aus der Volksrepublik China in der BRD breit. Viele berichten über Bespitzelung und Einschüchterungsversuche. Besonders Wissenschaftler und Studenten, die bald wieder in die Heimat zurückkehren müssen, hätten sich deshalb schon von den Kommilitonen distanziert, die Mahnwachen, Demonstrationen und Schweigemärsche organisiert haben. Die Aktivisten richten sich auf einen langen Aufenthalt in der Bundesrepublik ein. Denn „politischen Feinden verzeiht man nie in China“, sagte einer von ihnen in Berlin.
„In dem Flugzeug der chinesischen Fluggesellschaft, mit dem ich wenige Tage nach dem Massaker ausgeflogen wurde, saßen nur junge Männer“, berichtet ein Bundesbürger mit jahrelanger China-Erfahrung. Seine Vermutung: „Spitzel, mit denen die chinesische Führung nun auch der Demokratiebewegung im Ausland den Garaus machen will.“ Das ist für viele Studenten aus China, die zwischen Hamburg und München studieren, mittlerweile zur bitteren Gewißheit geworden. In Stuttgart und Konstanz seien bereits Chinesen aufgetaucht, die nach ihrem Verhalten unschwer als Agenten der Regierung in Peking auszumachen sind. Sie fragen nach den Organisatoren der Anti-Regierungsproteste und was die Studenten über die Ereignisse in China denken.
In Berlin, wo derzeit mehr als 500 Studenten und Wissenschaftler aus China leben, wissen die Studenten, daß der chinesische Geheimdienst Videos von ihren Demonstrationen angefertigt hat. „Sie liegen bereits beim Sicherheitsdienst in Peking und werden ausgewertet“, sagt ein Sprecher. „In der Bonner Botschaft ist bereits ein Brief aus Peking eingetroffen, in dem die Studenten in der BRD und West-Berlin als Konterrevolutionäre bezeichnet werden. Im schlimmsten Falle bedeutet das die Todesstrafe nach der Rückkehr in die Heimat.“
„Wenn wir jetzt nach Hause fahren, werden wir auf Schritt und Tritt beobachtet, nur weil wir die Wahrheit wissen“, berichtet ein Organisator von Demonstrationen in Berlin. Resigniert fügt seine Kollegin hinzu: „Rehabilitiert wird man in China meistens erst nach dem Tod.“
Einige der Studenten waren wenige Tage nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz nach Ost-Berlin gereist, um einen Protestbrief gegen die Berichterstattung der dortigen Medien und die Reaktionen der Volkskammer im DDR-Außenministerium zu überreichen. Einige wurden von DDR-Sicherheitskräften mehrere Stunden festgehalten. In den Tagen danach wurde chinesischen Studenten eine Einreise nach Ost-Berlin verwehrt. Nach bisher unbestätigten Meldungen soll ein Student dort verhaftet worden sein. „Unsere größte Angst ist nun, daß die DDR-Behörden der chinesischen Botschaft in Ost -Berlin Amtshilfe leisten und einen von uns entführen“, sagte ein Mitglied der Berliner Studentenvereinigung der chinesischen Studenten und Wissenschaftler letzte Woche vor dem Ausschuß für Ausländerfragen im Berliner Abgeordnetenhaus.
Viele Chinesen sind nur für wenige Monate zur Fortbildung in die Bundesrepublik gekommen. Wenn die Visa ablaufen, kann der Aufenthalt nur mit Genehmigung der heimischen Arbeitseinheit verlängert werden, sonst kann die Botschaft den Paß entziehen. Schon jetzt schickt die Bonner Mission Mitarbeiter, die Studenten einschüchtern sollen. Wer sich nicht fügt, bekommt sein staatliches Stipendium entzogen.
Chinesen, die auf Hilfe der Bundesrepublik gehofft haben, sind enttäuscht. „Die Bundesregierung hat von allen westlichen Industrieländern am schwächsten reagiert“, klagt ein Student. Australien habe gleich nach dem Massaker ohne Umschweife erklärt, daß alle Chinesen im fünften Kontinent bleiben dürfen und auch eine Arbeitserlaubnis erhielten. Die US-Regierung hat eine großzügige Auslegung der Asylbestimmungen angeboten. Anders die Bundesregierung: Die Visa-Abteilung in der Pekinger Botschaft war in den ersten Tagen nach dem Blutbad wegen „Personalmangel“ geschlossen. In einer Weisung an die Meldebehörden der Länder wurde am 16. Juni lediglich angeordnet, die Visa aller volkschinesischen Staatsbürger seien „um ein halbes Jahr zu verlängern“.
„Wir befürchten, daß aus wirtschaftlichen Interessen bald vergessen ist, was in China passiert“, sagt ein junger Mann, der wie alle seiner Mitstudenten seinen Namen nicht mehr nennen will. Beim Berliner Innensenat hieß es bereits auf Anfrage, eine „generelle Lösung“ könne es nicht geben. Vor einem Asylantrag seien die Studenten ausdrücklich „gewarnt“ worden.
Spendenkonto für die chinesische Demokratiebewegung
vorläufig bei der Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft Berlin-West e.V., Konto-Nr. 24456-103, Postgiroamt Berlin-West (BLZ 100 100 10)
1) Stichwort „Massaker in Peking“ für die Opfer und Hinterbliebenen,
2) Stichwort „Demokratie in China“ für die Studentenorganisation im Untergrund,
3) Stichwort „Solidaritätsaktivitäten“ für Öffentlichkeitsarbeit in der Bundesrepublik.
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