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Ein Stück irrer Vergangenheitsbewältigung

■ Psychiatriegeschichte im gestern eröffneten Krankenhausmuseum des ZKH Bremen-Ost

Mit einer Ausstellung wurde es eröffnet, das Krankenhausmuseum auf dem Klinikgelände in Bremen-Ost mit dem bezeichnenden Titel: “...ab nach Ellen!“ Sie befaßt sich mit der Geschichte der damaligen Reform-Irrenanstalt in Ellen, vom Gründungsjahr 1904 bis hin zur frühen Nazi-Zeit von 1934. Viele waren gekommen, zu viele um den Eröffnungsreden in den Räumen des neuen Museums

im frisch renovierten Haus 10 lauschen zu können kurzerhand wich man auf die angrenzende Wiese im Parkgelände aus. Nicht nur das schöne Wetter vermochte Senatsdirektor Friedrich-Wilhelm Dopatka zu entzücken, der in Vertretung von Gesundheitssenatorin Vera Rüdiger gekommen war. Er lobte die Ausstellung als Dokument für die bisher ungeschriebene Bremische Sozialge

schichte und setzte, wie sein von der Klinikleitung delegierter Nachredner Dr. Haselbeck große Erwartungen in das auf Bundesebene einzigartige Museum. Und der Vertretzer des ASB, Wolfgang Rust, blickte weit in die Zukunft und wünschte sich, daß viele der heute üblichen Therapieformen, wie der massive Einsatz von Psychopharmaka, dort ihre letzte Ruhestätte finden.

“...ab nach Ellen!“ zeigt in chronologischer Reihenfolge die Fort-und Rückschritte der früheren Irrenanstalt; Interviews mit ehemaligem Personal, bisher unveröffentlichte Fotos und Dokumente geben ein authentisches Bild der damaligen Psychiatrie. Der reformerische Ansatz, der von den reinen Verwahranstalten zur in sich offenen Arbeitskolonie führte, wird ebenso klar wie die

Misere der weiterhin praktitizierten Zwangsruhigstellungen wie Fesselung und Dauerbad. Die auf den ersten Blick positiv zu wertende, in Bremen oft angewandte Unterbringung „harmloserer Irrer“ in Pflegefamilien wird angesichts ihrer Ausbeutung als billige Arbeitskräfte relativiert, die Unzulänglichkeit psychiatrischer Diagnostik anhand der vorgestellten Untersuchungsmethoden offenbart.

Patientenprotokolle geben Auskunft über deren Entwicklung und Zerfall, Zitate der Planer zeigen die stark wirtschaftlich orientierte Seite der Ackerkolonie: „billigste Art der Verpflegung von Geisteskrankheiten“. Aber auch der Wandel in der Anstaltsleitung wird deutlich: War der Gründer und bis 1927 tätige Leiter Anton Dellbrück noch an verbesserter Ausbildung und Unterbringung des Personals sowie neuen Therapiekonzepten interessiert, enpuppte sich sein Nachfolger Friedrich Karl Walte als Beführworter von Zwangssterilisation und Euthanasie.

Initiiert wurde “...ab nach Ellen!“ vom „Kreativbüro“, einer Kooperative von Arbeiter-Samariter-Bund und ZKH, die psychisch Kranken mit kreativen

Programmen Anstöße und einen Ausweg aus ihrer Sprachlosigkeit geben will. Doch die bislang geleistete Arbeit wird zumindest im Umfang demnächst vermindert werden müssen: Die fünf ABM-Stellen laufen im Juli aus. Lediglich zwei der MitarbeiterInnen können sich auf Halbtagsbasis eine vom Krankenhaus finanzierte Stelle teilen und sich dann, wohl eher notdürftig, um die Künstlerwerkstatt und das Kontaktzentrum „Haus am Park“ kümmern.

Die Volkskundlerin Gerda Engelbracht, die in 2jähriger Arbeit mit der Fotografin Hille Schaefer das Material für die jetzige Ausstellung zusammengetragen hat, darf ebenfalls bleiben. Sie bekommt eine Stelle, um sich voll und ganz auf die Belange des Museums zu konzentrieren.

Nächstes Projekt: In dem Museum soll demnächst das dunkle Kapitel der Psychiatrie im dritten Reich beleuchtet werden.

Stephan Bischoff

Die Ausstellung im Haus 10 auf dem Parkgelände des ZKH ist noch bis zum 5.7. zu sehen, täglich von 11-16 Uhr, Mittwochs bis 18 Uhr. (Führung von Gruppen nach tel. Vereinbarung: 408391)

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