: EIN REIZEND ANALOGES TÄNZCHEN
■ „Maschinenmenschen“ langweilen in der Kunsthalle
Fragt eine Kunstgeschichtsstudentin im 1. Semester einen im Dienstleistungskurs 'Kunst‘ reifegeprüften Freund: „Du, was für prima Künstler fallen Dir denn zu Maschinen und Kunst und zum Menschen und so ein? Was könnte man denn da mal so ausstellen?“ Und der Alt-Kühne antwortet ohne zu zögern: „Na, Oskar Schlemmer, De Chirico, Rene Magritte, El Lissitzky, überhaupt die zwanziger Jahre...“ Das war noch moderne Kunst! Da gerät der höhere Sohn richtig ins Schwärmen und die Kunstgeschichtsstudentin ist stolz auf ihren gebildeten Freund, der sich mit einer guten Note und einem kleinen Schein setzen darf, während die Ausstellungsmacherin in spe gleich los rennt und in den Museen-dieser-Welt fragt, wo's denn mal was von diesen schönen Künstlern auszuleihen gäbe, was das denn so kosten würde, ob's auch'n bißchen billiger ginge, wenn sie mehrere Objekte von einem Künstler nähme, weil man ja schließlich knapp bei Lottogeld wäre und ob sie vielleicht noch was anderes Schönes-Gutes-Wahres in ihren Ausstellungskatalogen hätten, was sie bestellen könnte.
Sie lachen nicht? Lucie Schauer und Inken Novald, die spiritusreichen Rektorinnen der „Maschinen Menschen“ im Neuen Berliner Kunstverein hätten schon mehr als ein Semester KuGe auf dem Buckel und mithin reichlich Künstler an der Hand? Und Peter Funken, Ideator der Messe, wäre auch nicht mehr der Maschinenmeister von Morgen, sondern hätte schon vor Jahren seine respektablen Thesen zur Technik in eine Dissertation gehämmert, die der Doktor den Damen zur Ausschlachtung vorgelegt hätte? Und überdies hätte man schließlich noch mehr als die zwanziger Jahre im Angebot, nämlich auch die Sechziger und die Achtziger? Quasi ginge es also mit Riesenschritten auf die Zukunft zu, in der - hu, hu - bekanntlich die Schrecken der Gen-Technologie lauern? Und die Kultursenatorin hätte bei der Ausstellungseröffnung festgestellt, hier handele es sich um nichts weniger als um ein „Menschheitsthema“?
Ja, ja, da haben Sie recht. Eben! So schwammig ist die Sache.
Der NBK hat ein spannendes Thema völlig verschenkt - in der Schule hätte man gesagt: verfehlt - und mit Pathos und Guten Geschmack zugekleistert. Neben den Top-Ten aus den Zwanzigern (featuring: Francis Picabia, Max Ernst, Leger, Duchamp, Alexander Weininger etc. pp. s.o.) sehen wir: die obligatorischen Maschinen von Jean Tinguely, entstanden zwischen Ende der Fuffziger und Anfang der Achtziger, verschiedene pedomorphe Drahtskulpturen von Harry Kramer vom Ende der Sechziger, gewisse antropo-egale Plastik-Boxauto -Skulpturen vom Anfang der Siebziger von Joachim Bandau, die bekannten und beliebten Maschinengemälde von Konrad Klaphek vom Ende der Fünfziger, nebst dem zeitgenossinnenschen weiblichen Element in Form von Friederike Pezolds Brustwarzen- und Schamhaarvideostandbildes „Die Königin der Nacht“ oder des geschmackvollen verspiegelten Spechtballettsaales und der reizenden Malmaschine, die viele, viele bunte Farbspritzer mit Kochlöffel an die Decke kleckst von Rebecca Horn (weil: die ist jetzt Professorin an der HdK geworden und soll in's Hauskünstlerinnen-Kränzchen aufgenommen werden). Und schließlich - au ja, das müssen wir auch haben - der massive hölzerne Body-Building Fernsehturm mit Opernmusikuntermalung von Marie Jo Lafontain von der letzten 'documenta‘, der neulich auch ein Fernsehfeature über die Geschichte der FKK-Bewegung künstlerisch stark aufgewertet hatte. Überall wo noch Platz ist, hängt - so bunt, so bunt - ein Großgemälde von Wolfgang Petrick mit so inspirierten Titeln wie „Kopfzwängen“, die natürlich immer das hoch-problematische-Verhältnis-von-Mensch-und-Technik anklagen und einem immer wieder eindrucksvoll-ins-Bewußtsein -rufen, was-den-Menschen-zum-Menschen-macht. Gleich fünfmal beantwortet der verdiente Künstler des NBK diese ewige Frage.
Versammelt ist also Beliebiges aus Kunstgewerbe und -geschichte, Hauptsache 's hat was mit Maschinen und/oder Menschen und/oder Technik zu tun, anstatt, daß man sich auf eine dieser Beziehungen konzentriert und deren Objekten vertraut hätte. Aber hier läuft eine Kunst aus der Welt, die offenbar schon länger als seit 1965 antiquiert ist, als Günther Anders dem dazu passenden Menschen Sammlerwert zugeschrieben hatte. Denn längst hat die Technik (im Zeitalter ihrer künstlerischen Reproduzierbarkeit) nicht nur die Schöpfung, sondern auch das interessenlose Schöpferische außer Kraft gesetzt bzw. ästhetisch überholt. Kunst, wie sie vom NBK bieder-bürgerlich verstanden wird, befragt nichts mehr, bringt nichts voran, sondern hinkt hinterher, reproduziert. „Oh Welt, gehorchtest Du doch noch den einfachen Gesetzen der Mechanik“, quietschen die rostigen Skulpturen von Jean Tinguely dem zwanzigsten Jahrhundert hinterher und tänzeln im spielzeugmäßig Analogen, obwohl längst der Zweiertakt des Digitalen marschiert.
Doch letztlich war die Maschine der Kunst ohnehin schon immer voraus. Die Maschine ist die Abstraktion, die die Kunst dann nacherfinden mußte. Und wenn die Kunst sich dann wieder mit ihrer Muttermaschine auseinandersetzt, entgeht die schöne Gegenständliche (wie etwa das Beispiel Klaphek zeigt) nicht dem Dilemma, daß sie, will sie die Maschine und mit ihr das Prinzip der Abstraktion darstellen, weit hinter ihren Gegenstand zurückfällt, dessen Prinzip die Herstellung (von seines Gleichen) und nicht die Darstellung (von fremdem Ähnlichem) ist: Die industrielle Revolution frißt ihre Bilder. Kunst ist längst wieder Gewerbe und Handwerk in einem emphatischen Sinn: 'Kunst‘ im Zusammenhang mit 'Maschine‘ und 'Mensch‘, das ist etwa die Herstellung von funktional und ästhetisch perfekten Prothesen für diejenigen Gliedmaßen, die die 'Kriegs-Kunst-Maschine‘ verbraucht hat; 'Kunst‘ ist der Strukturbaum von Chomskys am kriegswichtigen Massachusetts Institut of Technology entwickelter generativer Grammatik, auf daß sich Sprache selber dichten möge; 'Kunst‘ ist die codierte Schöpfung in der DNA-Sequenz; 'Technik‘ hingegen ist der formschöne Arbeiter mit Muskel und Maschine im aus dieser Beziehung entwickelten fotografischen Genre; 'Technik‘ sind Madonna, Grace Jones und Michael Jackson, die wiederum 'Künstler‘ und 'Maschinen‘ gleichzeitig sind usw.
Kunst über Technik aber ohne Funktion ist indessen nichts als altmodischer Kinderkram, der noch nicht einmal in Bildern das Denken befördern oder gar Realität zuspitzen könnte und die Ausstellung in der Kunsthalle ist deshalb nicht mehr als eine nostalgische Puppenstube.
Gabriele Riedle
Maschinenmenschen in der Staatlichen Kunsthalle noch bis 23. Juli. Der dennoch lesenswerte Katalog kostet 19,80 Mark. Ab 9. Juli zeigt das Arsenal täglich Filme zum Thema.
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