: China-betr.: "Sanktionen treffen eher die Bevölkerung", "Hilfe für China", taz vom 23.6.89
betr.: „Sanktionen treffen eher die Bevölkerung“, „Hilfe für China“, taz vom 23.6.89
In der Bundesrepublik und den USA wächst der Druck auf die kapitalfreundlichen Kräfte, Wirtschaftssanktionen gegen China zu verhängen. Und was macht die taz? Sie verbreitet volles Rohr Gegenpropaganda. (...) Erst ein groß aufgemachtes Interview mit einem Vertreter des industriefreundlichen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, der ntürlich voll gegen Sanktionen ist („schaden der Bevölkerung“), und dann ein Kommentar, in dem behauptet wird, Sanktionen schadeten den Reformkräften in China. Alles garniert mit Argumenten, die man alle schon mal gehört hat, zum Beispiel als es um Sanktionen gegen Südafrika ging.
Zunächst zu dem Argument, Sanktionen schadeten der gesamten Bevölkerung. Vordergründig ist das natürlich richtig. Und trotzdem wird ein Wirtschaftsboykott von den chinesischen StudentInnen in der Bundesrepublik und namhaften ChinakennerInnen ausdrücklich befürwortet. Eben deshalb, weil Sanktionen - jedenfalls mittel- und langfristig durchaus eine weitere Destabilisierung des ökonomischen, sozialen und damit auch des politischen Systems in China fördern könnten. Zu derart drastischen Folgen eines Wirtschaftsboykotts muß es freilich nicht kommen. Denkbar wäre natürlich auch, daß einigen Leuten im politischen oder militärischen Machtapparat noch rechtzeitig der Gedanke kommt, daß sie mit einer Fortsetzung des innenpolitischen Repressionskurses letztendlich ihre eigene Machtbasis untergraben. Und einiges spricht ja dafür, daß es innerhalb der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Elite des Landes weiterhin gravierende Differenzen gibt. Die Folgen eines wirklich umfassenden Wirtschaftsboykotts wären voraussichtlich enorm, gerade weil sich ja China im letzten Jahrzehnt so sehr westlichem Kapital geöffnet hat.
Und vor allem: Welche Alternative zu knallharten Sanktionen gibt es denn? Jochen Noth fürchtet, daß der Schaden für die modernen Kräfte in Wissenschaft und Wirtschaft ungleich größer wäre, wenn „die Glocke der Isolation und des Terrors nun auch von außen geschlossen würde“. Er schlägt deshalb vor, die wirtschaftlichen Verbindungen nach China „zu erhalten und - wenn möglich - zu erweitern“, um die demokratische Bewegung dort langfristig zu stärken. Diese Logik will mir nicht einleuchten. Ich halte es für absolut illusorisch zu meinen, die „Glocke der Isolation und des Terros“ gegen emanzipatorische Kräfte und Ideen, die der chinesischen Gesellschaft gegenwärtig von ihrer eigenen Führung - also ausschließlich von innen und nicht von außen
-aufoktroyiert wird, ließe sich wieder öffnen, wenn der Westen Deng und Konsorten nur genügend Kapital und technologishes Know-how rüberschiebt. Letzteres dient einzig und allein der Stabilisierung der jetzigen Führungsclique. Und dafür, daß neben Kapital und Know-how nicht auch noch irgendwelche „konterrevolutionären Elemente“ aus dem Westen einsickern, wird das Regime in Zukunft so oder so sicherlich mit großer Aufmerksamkeit Sorge tragen.
Norbert Freund, Bietigheim-Bissingen
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