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Serben-Aufmarsch auf dem Amselfeld

500.000 serbische Nationalisten feiern die historische Niederlage der Serben gegen die Türken vor 600 Jahren  ■  Aus Belgrad Roland Hofwiler

„Wir stehen vor einer entscheidenden politischen und wirtschaftlichen Schlacht, bei der man nicht mehr ausschließen kann, daß sie militärisch durchgeführt werden muß“, rief der charismatische Serbenführer Slobodan Milosevic in die Menge, die sich auf dem historischen Amselfeld (Kosovo Polje) versammelt hatte. Und die über 500.000 Menschen spendeten prasselnden Beifall. „Slobodan, wir sind mit dir“, skandierte die Menge, um zu unterstreichen, daß die Drohungen gegen die im Kosovo lebende Bevölkerungsmehrheit, die Albaner, ernst gemeint sind. Denn für die versammelten Serben auf dem Amselfeld ist klar: Der vor Jahrhunderten als serbisches Herzland geltende Kosovo soll wieder vollständig serbisch werden.

Dem großen Polizeiaufgebot aus allen Teilen Jugoslawiens gelang es nur unter Schwierigkeiten, den Fahrzeugkolonnen 7.000 Busse und 40.000 Pkws - einen Weg über die schlechten Straßen des Kosovo in das „Herzland der Serben“ zu bahnen.

Seit Dienstag unterhalten patriotische Theaterstücke die Angereisten, werden unzählige Gottesdienste abgehalten und Ehrenwachen für die Reliquien des Prinzen Lazar, des damaligen Heerführers, im Kloster von Gracanica aufgestellt. Daß die orthodoxe Kirche sich vor den Karren der Milosevic -Politik spannen läßt, zeigte sich gestern am frühen Morgen, als der 88jährige Patriarch German in Gracanica eine Messe abhielt und den Schulterschluß von Staat und Kirche deutlich machte.

Militant wie selten zuvor erklärte Milosevic, die Kommunisten - gemeint war vor allem der besonders von den Kosovo-Albanern verehrte Staatsgründer Tito - hätten nach dem Krieg die Serben als Volk „aufgesplittert wie kein Volk in Europa“. „Im historischen Kernland“ hätten jahrzehntelang nur die Albaner das Sagen gehabt. Er wolle den Albanern zwar nicht ihre nationale Identität absprechen, „denn in der Geschichte Serbiens lebten schon immer andere Rassen auf seinem Territorium“, doch sei es an der Zeit, daß Serbien seine „Staatlichkeit“ zurückerhalte. Milosevic meinte damit die unbeschränkte Oberhoheit über die bis März 1989 autonome Region Kosovo.

Bisher haben sich die albanischen Bewohner der Provinz ruhig verhalten. Immerhin warnte der albanischstämmige Innenminister von Kosovo vor einer „Serbenhysterie“. Das kroatische 'Radio Zagreb‘ bedauerte, daß „die Massenmedien der Republik Serbien das Ereignis in unvernünftiger Weise hochputschen“. Seit sechs Uhr in der Früh wurden gestern die Feierlichkeiten im serbischen Fernsehen laufend live übertragen.

Die Organisatoren hatten ihre liebe Mühe, die aufgeputschten Massen von Unbedachtsamkeiten zurückzuhalten. Die Schlachtenbummler wurden gewarnt, Provokationen zu vermeiden und nicht mit Schußwaffen anzureisen. Es soll aber schon zu Zwischenfällen gekommen sein.

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