: Und schon bist Du ein Rauschgift-Dealer
■ Ein Flugschein, ein Ortsname und ein Interpol-Fernschreiben brachten 60jährigen Südamerikaner in Verdacht, Kopf eines Rauschgiftrings zu sein
In der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen sitzt seit über einem Jahr der 60jährige Julio Roberto C. in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Kokain -Handel in großen Stil vor. Die taz sprach mit seinem Rechtsanwalt, Dr. Stephan Barton, über die Methoden, in denen das BKA jene Verbrechen und Verbrecher erst produziert, die es anschließend bekämpft. Barton vertritt derzeit eine Strafrechtsprofessur an der Universität Hamburg. Der Prozeß soll im Januar 1990 beginnen.
taz: Was hat Ihr Mandant eigentlich getan, außer sich gerade in dem Moment in Bremen aufzuhalten, als das BKA 50 Kilo Kokain in zwei Bremerhavener Schließfächern deponierte?
Dr. Stephan Barton: Unstreitig getan hat er folgendes: Er hat zu diesem Zeitpunkt mit mehreren ebenfalls Verdächtigen telefoniert. Außer diesen Telefonaten gibt es keinerlei Beweise gegen ihn.
Man muß nicht eine Kette einschlägiger Gerichtsverfahren hinter sich haben, um in ein solches Räderwerk zu geraten?
Es ist wiederum völlig unstreitig, daß mein Mandant 60 Jahre lang in verschiedenen südamerikanischen Ländern und in den USA gelebt hat, ohne sich je strafrechtlich verantworten zu müssen. Es liegen nicht die geringsten einschlägigen Erkenntnisse gegen ihn vor.
Stichwort: Telefongespräche. Was muß man als Nichtvorbestrafter tun, damit das BKA einem
das Telefon anzapft?
Man muß - so die Version des BKA - identisch sein mit einem gewissen Carlos Hidalgo, einem ebenfalls rund 60 Jahre alten internationalen Rauschgifthändler und Mafiaboß. Allerdings fällt es mir sehr schwer, von dieser Identität meines Mandanten mit besagtem Hidalgo auszugehen, weil Hidalgo längst in Haft saß, als mein Mandant sich ordnungsgemäß zu einem Besuch der Hafa angemeldet und in Bremen ein Hotelzimmer gebucht hat. Das hätte auch das BKA wissen müssen.
In diesem Fall hat das BKA aber doch am 19. Mai 88 die Abhörgenehmigungen erbeten und von der Bremer Staatsanwaltschaft und dem Ermittlungsrichter auch anstandslos bekommen.
Hintergrund war eine Information von Interpol aus Quito, daß besagter Carlos Hidalgo große Rauschgiftgeschäfte abwickeln wolle. Es hat sich dann ergeben, daß zwar nicht Herr Hidalgo nach Bremen reisen werde, sondern ein ebenfalls 60jähriger Herr. Das war mein Mandant. Und das war der Anlaß, ihn zu observieren und abzuhören.
Nun haben Justizsenator Volker Kröning und Generalstaatsanwalt Hans Janknecht inzwischen erklärt, alle Angaben des BKA seien seinerzeit sorgfältigst und im Einzelfall geprüft worden, ehe die gewünschten Abhörgenehmigungen erteilt wurden. Immerhin wurde damit ja ein Grundrecht außer Kraft gesetzt. Wie
kann man sich eine solche sorgfältige Einzelfall-Prüfung vorstellen?
Also, aus den Akten kann ich diese großartige Überprüfung beim besten Willen nicht erkennen. Es gibt offensichtlich einen Vertrauensvorschuß der Staatsanwaltschaft gegenüber den Fahndern des BKA.
Vertrauensvorschuß ist ja was anderes als sorgfältige Prüfung. Im Grunde das Gegenteil. Haben Sie denn mal den Generalstaatsanwalt gefragt, worüber er informiert war und wie er diese Prüfung bewerkstelligt hat?
Ich habe den Generalstaatsanwalt schriftlich um Auskunft über diese Fragen gebeten. Die Antwort lautete wörtlich: „Zu einer Beantwortung der gestellten Fragen sehe ich keine Veranlassung.“
Das war's?
Das war's.
Ich stelle mir die Telefonüberwachung so vor: Wenn ich am Telefon über Rauschgiftgeschäfte rede, mache ich mich natürlich verdächtig. Wenn ich als mutmaßlicher Rauschgifthändler nicht über Rauschgift rede, mache ich mich - in der Logik des BKA - wahrscheinlich mindestens ebenso verdächtig.
Verdächtig sind Sie, wenn Sie Begriffe gebrauchen, die wenn man Ihnen böse Absichten unterstellt - einen Sinn bekommen, also z.B. bestimmte Schlüsselwörter, die das BKA als Code-Worte für Eingeweihte interpretieren kann. In diesem Fall sieht
das BKA einen Begriff als Code-Wort, der nichts ist als ein Ortsname; ein Ortsname, der am Telefon genannt wird zur Identifizierung des Gesprächspartners. Also, man ruft an und fragt: Bist du der Meier aus Delmenhorst. Und daraus konstruiert das BKA: Aha, Delmenhorst - das ist das Code -Wort. Hinzu kommt, daß mein Mandant mit weiteren Verdächtigen telefoniert und bestimmte Kontakte unter ihnen vermittelt hat, von denen er aber nicht wußte und nicht wissen konnte, daß sie möglicherweise mit Rauschgiftgeschäften zu tun hatten. Eine dieser Personen hatte schon in Quito mit ihm Kontakt aufgenommen und vermutlich vom BKA gesteuert - Telefongespräche geführt, um ihn zu Äußerungen zu veranlassen, die ihn nachträglich belasten könnten.
Die Hypothese lautet also: Einer der Gesprächspartner war V -Mann des BKA und hat eine Art Telefonkette organisiert, in die Ihr Mandant nichts Böses ahnend einbezogen wurde?
Davon gehen wir aus. Denn ausgerechnet dieser Mann ist derjenige, der bei der Festnahme später entkam.
Nun ist ja inzwischen wohl unstrittig, daß der Rauschgiftschmuggel vom BKA selbst inszeniert wurde. Nur: Wenn das BKA Kokain schmuggelt, heißt das nicht Schmuggel, sondern „kontrollierte Einfuhr“. Wer kontrolliert denn das BKA eigentlich bei der „kontrollierten Einfuhr“?
Das ist eine der zentralen Fragen.
Wie ist das Verhältnis von Staatsanwaltschaft und BKA? Laut Strafprozessordnung ist die Staatsanwaltschaft „Herrin des Verfahrens“, d.h. sie kontrolliert. Die Polizei ist nur Organ, das die Weisungen der Staatsanwaltschaft ausführt. Soweit die Theorie. In der Praxis hat sich das Verhältnis aber längst umgekehrt. Die Polizei wird tätig, liefert der Staatsanwaltschaft Täter, Indizien und Beweise und die Staatsanwaltschaft kann nur noch nachvollziehen, was ihr die Polizei vorgibt. Das Verhältnis ist also völlig aus der Balance geraten. Das wird besonders deutlich beim BKA mit seinen ungeheuren Potentialen an Ermittlungskapazitäten, an Dateien, an technischen Hilfsmitteln usw.
Das heißt: das ursprüngliche Hilfsorgan führt de facto ein unkontrolliertes und unkontrollierbares Eigenleben?
Ja. Früher sagte man: Die Staatsanwaltschaft sei ein Kopf ohne Hände. Mittlerweile arbeiten diese Hände völlig unabhängig von diesem Kopf, arbeiten teilweise so, daß die rechte nicht weiß, was die linke tut. Beide zusammen arbeiten nach einer Logik, die sich von der der Staatsanwaltschaft völlig unterscheidet. Die Polizei sieht Gefährdungspotentiale, die Staatsanwaltschaft hat auf die Justizförmigkeit des Verfahrens zu achten. Diese Aufgabe hat der Bundesgerichtshof einmal so ausgedrückt: „Es ist kein Grundsatz der Strafprozeßordnung, daß die Wahrheit um je
den Preis erforscht werden müßte.“ Das heißt: Jede juristische Wahrheitssuche hat sich in Grenzen zu bewegen, die die Strafprozessordnung setzt.
Wenn aber schon die Staatsanwaltschaft, die laut Gesetz Herrin des Verfahrens ist, also immerhin gewisse Weisungs -und Kontrollbefugnisse gegenüber BKA und Kripo besitzt, diesen Apparat nicht mehr kontrollieren kann, was bleibt noch einem Verteidiger, der am Ende der Kette vor dem Wust der Ergebnisse steht?
Im Grunde müßte hier ein Schulterschluß zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft stattfinden, um die in der Praxis verlorengegangen Kontrollbefugnisse gegenüber dem BKA wiederherzustellen. Nach allen Erfahrungen ist es aber anders: Der Schulterschluß findet zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und Gerichten statt. Es gibt allerdings Ausnahmen. Zum Beispiel die des Generalstaatsanwalts von Schleswig-Holstein, also eines Kollegen von Herrn Dr. Janknecht. Der hat über dieses Problem vor einiger Zeit geschrieben: „Der polizeiliche Lockspitzel-Einsatz ist ein Anwendungsfall der Lehre 'Der Zweck heiligt der Mittel‘.“ Und weiter: „Es ist an der Zeit, daß die Staatsanwaltschaft sich ihrer Kontrollfunktion besinnt und den Versuch unternimmt, entgegen der 'Meinung der Herrschenden‘ den Sumpf, in dem die Rechtsstaatlichkeit unterzugehen droht, trockenzulegen.“
Fragen: Klaus Schloesser
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