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„Es geht um die Sicherung der Vielfalt“

■ Interview mit Dr. Hans Hege, Direktor der Anstalt für Kabelkommunikation über heikle Frequenzvergabe durch den Kabelrat / „Minimalkonsens wäre Innovationshindernis“ / Firma „ComFactory“ will Radio100 das ius primae noctis streitig machen

Heute muß der Kabelrat unter seinem Vorsitzenden Ernst Benda über die freigewordenen 18 Stunden auf der Frequenz 103,4 neu entscheiden. Sie war im Mai vom Konzernradio der Springer, Bertelsmann und Holtzbrink aufgegeben worden. Nun gibt es 15 Bewerber. Die Firma „ComFactory“ unter führender Beteiligung großen Berliner Werbeagentur GKM (CDU- und FDP -nahe) will Radio100 das ius primae noctis streitig machen. Mit Dr. Hans Hege sprach Benedict M. Mülder.

Ist die Aufgabe bereits ein Boykott von Rot-Grün, ein Signal dafür, daß es für Medienunternehmen in der Stadt keine Chancen mehr gibt?

Das hat wohl gar nichts mit der Veränderung der politischen Verhältnisse in der Stadt zu tun. Das Unternehmen hat sich nicht am Markt erfolgreich behaupten können, was eine Reihe von Ursachen hat. Die Konzerne selber machen das Frequenzsplitting mit Radio100, dem alternativen Stadtsender, dafür verantwortlich. Das war sicherlich eine Belastung, aber es hat sich auch gezeigt, daß ein Zusammenschluß kapitalkräftiger und großer Medienkonzerne nicht unbedingt erfolgreich sein muß. Hier in Berlin haben die Kleinen, das mittelständische Unternehmen Radio100,6 von Ulrich Schamoni und Radio100 überlebt, und wir werden sehen, daß es für die neue Frequenz zahlreiche Bewerber mittelständischen Zuschnitts geben wird.

Ist das Scheitern des Konzernradios nicht in zweifacher Hinsicht eine Ohrfeige für die alte Berliner Medienpolitik, erstens Kooperationen zu erzwingen und dann noch zweitens Frequenzen zu splitten?

Der Kabelrat hat für die erste Frequenz bewußt ein Unternehmen ausgewählt, daß nicht aus Großkonzernen besteht, das war eine wichtige Vorentscheidung. So ist eine relativ schlagkräftige mittelständische Gruppe entstanden, die sich am Markt behauptet hat. Der Zwang zur Anbietergemeinschaft folgt aus der Frequenzenge in Berlin - wir haben nur zwei für private Anbieter gegenüber sechs öffentlich-rechtlichen und einer ganzen Menge für unsere alliierten Schutzmächte. Es ist sehr wenig da, und im Verhältnis zu anderen Bundesländern haben wir in Berlin noch wenig zusammengedrängt. In Hamburg läuft das Modell Zusammenschluß von Großverlagen - erfolgreich. Nun haben Bertelsmann und Springer das hiesige Radio103 allerdings aus Hamburg und nicht aus Berlin geführt. In Berlin kann nur ein Radio erfolgreich sein, daß in dieser Stadt sehr verwurzelt ist, für das ein bestimmter Mindestaufwand betrieben werden muß.

Wird es wieder ein Splitting geben?

Darüber wird der Kabelrat bald zu befinden haben. Entscheidet er sich gegen ein Splitting, dann bedeutet das bestimmt, daß Radio100 über seine bisherigen sechs Stunden hinaus die gesamte Frequenz bekommt. Es wird aber noch andere Anträge geben, deren Berücksichtigung logischerweise ein neues Splitting bedeuten würde. Das sind immer Notlösungen, gewiß, andererseits ist es Radio100 von Anfang an nicht anders gegangen, und ich glaube, es ist ihm nicht schlecht bekommen. Man hat bei relativ wenig Sendezeit eine Menge gelernt, und es wäre sicherlich viel schwerer geworden bei 24 Stunden Sendezeit von vorneherein. In Hamburg sind ja die Modelle alternativen Radios gescheitert, nicht zuletzt an den hohen Kosten. Radio100 hingegen hat sich behauptet und sogar das „bürgerliche“ Radio100,6 hat sich entgegen allen Unkenrufen gehalten, als beide auf einer Frequenz lagen. Das Splitting hat beiden genutzt, nicht jede Form führt zu Nachteilen.

Ist so ein Splittingkompromiß noch zeitgemäß, wäre Radio100 nicht der natürliche Anwärter auf die Frequenz?

Radio100 wird das nicht ganz zu Unrecht so sehen, aber wir müssen abwarten, welches Konzept von ihnen kommt, denn es ist ein gewaltiger Sprung von heute sechs auf 24 Stunden täglich. Wir müssen sehen, welche Konzepte von anderen kommen, danach wird der Kabelrat entscheiden. Sicher ist, daß der Zwang zum kleinsten gemeinsamen Nenner, wie er in Anbietergemeinschaften liegt, ein Innovationshindernis ist. Radio103 scheiterte, weil zu viele Konzernetagen daran beteiligt waren. Es ist leichter, ein erfolgreiches Programm zu machen, wenn jemand dafür auch eine eindeutige und klare Verantwortung übernehmen muß. Das hat man bei Radio100,6 gesehen. Aber es muß nicht das einzig erfolgreiche Konzept sein.

Werden Springer und Schamoni dabei sein? Von einer Hochzeit, ähnlich der im Berliner Fenster von Sat1, ist die Rede.

Davon habe ich nichts gehört. Was Schamoni angeht, so haben wir eine klare Bestimmung im Gesetz, nach der ein Veranstalter nur ein Radioprogramm veranstalten kann. Von Springer liegt bisher kein Antrag vor. Problem ist natürlich, daß Springer in Berlin eine beherrschende Stellung in der Zeitungslandschaft hat. Schon bei Radio103 konnte der Verlag bloß 25 Prozent halten. Springer allein auf einer Frequenz ließe sich schwerlich mit der gesetzlichen Forderung nach Vielfalt in Einklang bringen, und um deren Sicherung und Ausbau geht es.

Was heißt das für den von zwei CDU-Abgeordneten betriebenen City-Funk?

Dieser hat einmal während der Funkausstellung gesendet, er ist beim ersten Verfahren nicht berücksichtigt worden und hat den Kabelrat verklagt, das Verfahren läuft noch. Wir müssen sehen wie die neue Bewerbung aussieht.

Eine große Berliner Werbeagentur, GKM, bastelt an einem Werbeverbund mit Radio100,6 und anderen. Die Agentur arbeitet auch für Sat1. In Großbritannien gibt es Regelungen, wonach Werbeagenturen nicht gleichzeitig Radio veranstalten dürfen. Besteht nicht die Gefahr eines Konzernfunks durch die Hintertür?

Zu den Hintergründen kann ich bislang nichts sagen. Sollte sich GKM bewerben, wird hier gewiß einiges aufzuklären sein. Grundsätzlich hält der Kabelrat aber die Vermarktung von Werbung, wie sie etwa im Bereich der ARD oder im norddeutschen Raum durch verschiedene private Sender geschieht, für zulässig. Es muß aber klar sein, daß es keine Verwischung und Vermengung der Programmverantwortung geben darf. Es müssen mindestens zwei programmlich voneinander unabhängige Sender sein, die miteinander konkurrieren.

Was wäre die Ideallösung?

Die Ideallösung wäre eine weitere Frequenz in Berlin. Wir haben uns mit Hilfe der Post bemüht, zwei UKW-Frequenzen mit der DDR zu koordinieren. Das ist von dort mit dem Hinweis auf die Vielzahl der West-Berliner Frequenzen abgelehnt worden. Es sind mehr als in Ost-Berlin, trotzdem lassen wir nicht locker. 1996 immerhin wird eine Frequenz auf West -Berlin, die 105,5Mhz, zukommen. Sie kann aber vorab nicht genutzt werden. Der Kabelrat muß mit der heutigen Situation fertig werden und eine Lösung finden, die dem gesetzlichen Auftrag am besten entspricht.

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