: „Wir müssen beharren, bis die Dunkelheit vorüber ist“
Der chinesische Studentenführer Tian Chun über die Fehler der Studentenbewegung ■ D O K U M E N T A T I O N
Tian Chun gilt als prominenter linker Vertreter der Studentenbewegung des Pekinger Frühlings. Er vertritt die Ansicht, daß die Bewegung der HochschülerInnen lediglich die Speerspitze der Bewegung der Arbeiterschaft sei. Die hier dokumentierten Ideen zum weiteren Vorgehen der Studenten hatte er am ersten Juni, drei Tage vor dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz, seinen Mitstreitern vorgestellt.
Wenige Tage nach dem Beginn des Hungerstreiks hatte die Sympathie der Bevölkerung für unsere Bewegung ihren Höhepunkt erreicht. Doch unsere Aufmerksamkeit richtete sich nur auf den Platz. Wir haben es versäumt, unsere Ideen in den Fabriken und unter dem Volk zu verbreiten, und vergaßen es, die Menge zu organisieren. Als so viele Leute auf die Straße strömten, vergaßen wir, sie anzuleiten und ihnen zu sagen, wie sie sich verhalten sollten.
Einen weiteren strategischen Fehler haben wir begangen, als wir den Studenten und den Bürgern sagten, sie sollten die Armeefahrzeuge blockieren. Selbst wenn die Leute auf eigene Initiative hin die Straßen blockiert hätte, wäre es unsere Aufgabe gewesen, sie daran zu hindern.
Da die Regierung schon einmal den Fehler gemacht hatte, die Armee in die Stadt zu beordern, hätten wir den Vater nicht daran hindern sollen, auf diesem falschen Weg fortzuschreiten. Der Vater hätte sich zu unserem Vorteil gewandelt. Da wir uns auf die Straßensperren konzentrierten, vergaßen wir unsere Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit und der Mobilisierung der Massen. Als sich dann die Truppen zurückzogen, verfielen wir in Passivität.
Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß, wenn wir ausgeharrt hätten, die Regierung, idiotisch wie sie nun einmal ist, unter dem Druck der weltweiten Öffentlichkeit vielleicht einen Kompromiß hätte schließen müssen.
Unser grundsätzliches Ziel ist es, den Demokratisierungsprozeß voranzutreiben und ihn auf die Straße des Wohlstands zu führen. Wir haben bereits einige Ziele formuliert: eine unabhängige Legislative, freie Presse und Bestrafung für korrupte Kader.
Als sich unsere Bewegung fortentwickelte, änderten sich auch unsere Ziele. Wir müssen einen klaren Kopf bewahren und dürfen uns nicht von unseren Hauptprinzipien abwenden. Wenn wir die einfacheren Ziele erreicht haben, dürfen wir auch weiterhin unsere ursprünglichen Vorgaben nicht aus den Augen verlieren.
Wir haben schon einen schmerzlichen Preis bezahlt, und die Erfolge sind gering. Um unsere Tränen und unseren Schweiß nicht umsonst vergossen zu haben und um China vor der schwarzen Hand der Ränkeschmiede zu befreien, müssen wir nach unserem Gewissen und unserer Geschichte leben, müssen beharren und nochmals beharren, bis die Dunkelheit vorüber ist und die Morgenröte anbricht.
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