Moderate im Hardlinerpelz

Wenn die Pekinger 'Volkszeitung‘ auf business as usual beharrt, dann ist das gar nicht so fern der Realität, wie es scheint. Zwar hat das Politbüro am Wochenende die Entlassung der Reformer Zhao Ziyang und Hu Qili verkündete - dennoch können Chinas Hardliner nur einen halben Sieg verbuchen.

Zwei der Austauschkandidaten für den auf sechs Mitglieder erweiterten ständigen Ausschuß des Politbüros haben sich de facto der ökonomischen Refompolitik verschrieben, namentlich die Bürgermeister von Schanghai und Tianjin, Jiang Zemin und Li Ruihuan. Keiner der beiden, die 1987 beim Parteikongreß ins Politbüro aufgerückt sind, hat sich allerdings als Sympathisant politischer Reformen hervorgetan.

Vielmehr war es Jiang Zemin, der im April den Chefredakteur des 'World Economic Herald‘ vor die Tür setzte, weil die Zeitung im Nachruf auf Exparteichef Hu Yaobang die Entlassung des Reformpolitikers kritisierte. Die Zeitung hat sich in den letzten Jahren immer wieder für die Pressefreiheit eingesetzt und durch kühne Kritik an der Parteipolitik hervorgetan.

Li Ruihan wiederum - Schwiegersohn des Vorsitzenden des Volkskongresses Wan Li - wiederum verstand es, mit seiner urbanen Reform die verschlafene Wirtschaft seiner Stadt aufzuwecken. Forderungen der Arbeiter nach Sicherheitsvorkehrungen gab er jedoch nicht nach und nahm lieber eine Steikwelle in Kauf.

Die Partei braucht dringend Galionsfiguren, an deren Händen kein Blut der Pekinger DemonstrantInnen klebt, wie es ein chinesischer Geisteswissenschaftler formulierte. Jiang Zemin hat die Krise in Schanghai ohne größeres Blutvergießen unter Kontrolle gebracht und damit als gewandter Taktiker überzeugt. Der Aufstieg beider Bürgermeister beweist aber auch die Sorge Deng Xiaopings, daß seine Wirtschaftsreformen von den alten Hardlinern untergraben werden könnten, auf deren politische Unterstützung er nun angewiesen ist.

Von politischer Stabilität kann noch lange nicht die Rede sein. Die meisten BeobachterInnen gehen davon aus, daß Jiang Zemin trotz seines untadeligen Hintergrunds - er ist Schwiegersohn des ehemaligen Präsidenten Li Xiannian - und seiner Verdienste nur als Übergangskandidat fungiert, bis der richtige Parteisekretär gefunden ist. Und die Rückkehr Zhao Ziyangs ist noch nicht ausgeschlossen.

Gegenwärtig sieht es so aus, als stünden die Provinzen hinter der Pekinger Politik. Aber wie aus der Provinz Hunan bekannt wurde, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als ihre Grüße zu übermitteln. Und das heißt nicht unbedingt, daß sie mit der Ausrufung des Kriegsrechts übereinstimmten oder das Massaker vom 4.Juni akzeptiert hätten. Im Gegenteil scheint es wahrscheinlicher, daß man auf den richtigen Zeitpunkt für eine Intervention wartet.

Die meisten Provinzgouverneure, insbesondere im Süden, in Fujian, Guandong und Hainan, sind nach wie vor beherzte Reformer, bei denen sich Zhao Ziyang in den letzten beiden Jahren zunehmend unbeliebt gemacht hatte. In privatem Gesprächen äußerte sich ein Gouverneur frustriert über dessen permanente Stop-and-go-Politik. Bei Zhao war keine konsistente Philosophie auszumachen, und damit hatte er eine der Hauptregeln chinesischer Politik gebrochen.

In naher Zukunft werden diese Provinzchefs ihren Einfluß in Peking geltend machen. Auch die wachsende politische Rolle der Armee bei der Bewahrung der nationalen Einheit könnte das Blatt zugunsten der Moderaten wenden. Während dies schneller geschehen könnte als Beobachter gewärtigen, hinterläßt die Flucht bedeutender politischer Denker ins Ausland, besonders von Su Shaozhi, Liu Binyan und Tian Jiaqi, eine kaum zu füllende Lücke.

Larry Jagan