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KUHKOPFAUGEN

■ Helga Ginevra und Johannes Grützke in der Ladengalerie

Die Kudamm-Voyeure, die abends das von der Ehefrau daheim frisch gewaschene, gebügelte und sorgfältig in den Koffer gelegte Hemd anziehen, alle 50 Meter ihren spärlichen Scheitel vor den Schaufensterscheiben nachziehen, ereilt schon hier der erste Schweißausbruch. Hände in Fleisch verkrallt, hochgehobene Röcke, stürzende Möbel - kein Video, sondern Farbe auf Leinwand zeigt dies. Der Männertrupp winkt hastig die versprengten Kumpels zusammen, grinsend zeigen sie mit dem Finger in die Schaufenster der Ladengalerie. Ihnen dieses gefundene Fressen für die Augen als Kunst andrehen zu wollen, so blöd können auch nur die Berliner sein.

Doch nicht nur für diese Stoßtrupps stellen die Bilder von Helga Ginevra und Johannes Grützke einen harten Brocken dar. Die Überwindung der gewohnten Ekelschwellen, mit der der Fleischesser einen Blick in den Schlachthof wirft oder mit der der Nicht-Mediziner eine Operation verfolgt, kostet es auch, die Bilder von Grützke anzuschauen. Seine Gestalten wirken gleichsam wie gehäutet; was sich da weiß-grünlich schimmernd vor uns anspannt und verdreht, scheint unter der leichtesten Berührung schmerzhaft zusammenzucken zu müssen.

Grützke und Ginevra stellen Bilder aus; Grützke und Ginevra stellen sich aus. Die Selbstportraits beider bringen auf die Spur, daß auch die anderen Figuren ihrer Bilder ihnen gleichen. Ursprung für ihr Menschenbild ist immer die Erfahrung der eigenen Leiblichkeit. Grützke, der Portraits Ginevras in einer frühen Ausstellung der Ladengalerie sah, schlug der Galeristin Caroline Müller die gemeinsame Präsentation vor. Anderthalb Jahre lang malten beiden unabhängig voneinander, ohne sich in den Ateliers zu besuchen, und überließen Auswahl und Hängung der Bilder der Galeristin. Eigenartige Berührungspunkte und spannungsreiche Gegensätze zeigten sich.

Manchmal ist es nur die motivische Nähe: Beide malten erstmals Tiere, Großaufnahmen vom Bilderbuchbauernhof, er große Kuhköpfe - unausweichbare, sanfte, animalische Präsenz -, sie eine schnatternde Schar von Gänsen. In einem Doppelselbstportrait stellt sich Grützke wäscheaufhängend dar, zweimal mit einem Tuch über dem Kopf und mißbilligend über die Schulter blickend dem Bildbetrachter zugewandt, als wolle er in sich selbst den Anteil zweier strenger und stets aufopfernd beschäftigter Großmütter ausmachen. Bei Ginevra hängen zwei Frauen Wäsche auf und konstruieren damit vorübergehend eine Behausung um sich herum.

Das Aktbild der Malerin ist kopflos, mit hochgezogenem Rock, in der Pose der Anmache, eine zweifelhafte Souveränität über den eigenen Körper vorgebend. Die nackte Frau in Grützkes Aktbild guckt wie eine Schildkröte unter einem Tuch hervor; ein wenig unglücklich zusammengequetscht, versucht sie, sich zu verstecken. Mit Kategorien geschlechtsspezifischer Ästhetik läßt sich da wenig ausrichten.

Sie erzählt in Metaphern: Frauen stürzen aus dem Blau nach unten, wandern mit Stühlen durch eine leere Landschaft, heimatlos, unruhig, ohne erkennbares Ziel. Er sieht sich als Ikarus, dessen angeklebte Flügel viel zu klein sind, bald schon werden die Verfolger ihn haben. Aber während Ginevra auch noch im Alptraum eine schlafwandlerische Anmut gelingt, verzerren sich seine Figuren, als würden sie mit jedem Pinselstreich einen Akt der Gewalt erfahren.

Katrin Bettina Müller

Johannes Grützke und Helga Ginevra in der Ladengalerie, Kudamm64, bis 2.August.

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