: HORIZONTE '89 SIND ABGEFEIERT
■ Der Noch-Karten-Kollaps
Ein typischer Fall von Festivalitis: Neulich in der Kongreßhalle trafen sich Orient und Okzident. Zum Beispiel im Lied. Auf der Bühne versucht eine Soziologiestudentin, die irgendwann einmal mit Begeisterung Irmtraud Morgners Leben der Troubadoura Beatriz de Diaz gelesen haben muß, etwas zu singen. Die ersten gehen. Dann liest sie verbindliche Worte vor, belehrenden und scherzhaften Inhalts, die nächsten gehen. Im Programmheft steht geschrieben, daß sie schon „zahlreiche kulturelle Sendungen“ für das Radio „produziert und geleitet hat“. Radio kann man aber abschalten. Hier müssen Leute unhöflich werden aus schierem Selbsterhaltungstrieb, und nach einer Viertelstunde ist rund ein Drittel des Publikums weg. Es waren sowieso nur die ersten sechs Reihen des weitläufigen Saals belegt. Und Seref Tasliova aus Kars, der im zweiten Programmteil zwecks Begegnung mit der deutschen Troubadoura türkische Aschikmusik vortragen wollte, ist auch nicht gekommen. Er hat nämlich, wie ein Herr verlegen mitteilt, kein Einreisevisum gekriegt von der bundesdeutschen Botschaft in Istanbul.
Natürlich gingen nicht alle Treffen bei Horizonte '89 so schlimm aus, dafür sorgt schon die erste Faustregel der Berliner Festivalitisbekämpfungsstelle in der Budapester Straße: Ganz schnell ganz viel machen, dann haut irgendwas schon hin. Die zweite Regel lautet: Die Künstler gut bezahlen, die Eintrittskarten billig machen und zahlreiche kulturelle Sendungen ausstreuen in der Stadt, natürlich im beliebten Berliner Hochglanzvielfarbendesign. Das hat bisher immer gut funktioniert, aber diesmal war etwas anders. In Horizonte '89 war irgendwie der Wurm drin. Alle maulen herum: Dieses Fest war ein Flop, die Organisation klappt nicht, das Thema stimmt nicht, das Publikum kommt nicht, die Presse ist flau.
Ganz viele haben es schon im voraus gewußt: O Zeter und Mordio, zum allerallerletzten Male finden wir statt, die Mittel sind gestrichen (Martiny im Sinn), das multikulturelle Berlin, es wird Wüste sein und nach uns die Sündflut, so kann das ja nichts werden. Derweil man sich dergestalt öffentlich Asche aufs Haupt streut, sind freilich die Werkverträge für die nächsten Horizonte '92 (Jüdische Lebenswelten) längst unterschrieben und diverse Festivalexperten werkeln schon fleißig am Programm, das auch wieder ganz großartig werden wird. Am Geld soll es also nicht liegen, auch diesmal war es nicht das Geld, wer war es dann? Hören wir uns mal um: Eine Dame, die am nächsten Abend gekommen ist, um den nächsten Troubadour anzuhören (der sang ganz wunderbar, nur etwas lustlos, denn diesmal war noch weniger Publikum da), diese Dame also meint, es liegt am Thema. Die Orientalen sind so scheu und zurückhaltend, daß die meisten keinen Zugang kriegen, denken Sie mal an das Lateinamerikafestival damals, das ist doch ein ganz anderer Menschenschlag, mehr so aufgeschlossen und fröhlich.
Na klar, die Latinohorizonte, sagt mein zynischer Nachbar, das lag doch im Trend. Nicaraguakaffee und Karneval in Rio und so, damals haben doch sowieso gerade alle Tango gelernt. Und die Chinahorizonte waren ja auch politisch wichtig. Aber Multikultur haben wir doch gratis, um türkische Musik zu hören, geht keiner in die Kongreßhalle, da macht man eben mal das Fenster auf. So ähnlich stand es auch im 'Tagessiegel‘: Die Orientmode des 19.Jahrhunderts sei „gegenwärtig offenbar abgeflaut“. Dagegen spricht, daß die Literaturreihe und die Filmreihe im „Arsenal“ ganz gut liefen, und überhaupt sind auch die Bauchtanzkurse immer noch in. Die Kinemathek hat aber ein Konzept und ein Stammpublikum. Vor allem einen guten Ruf, sagt die Expertin für außereuropäische Musik, die sich ernsthaft Sorgen macht um die inflationäre Entwicklung der Repräsentationskultur in dieser unserer Stadt. Das reicht ja schon lange nicht mehr, wenn die Festwöchler eine „Sensation“ ankündigen, jetzt werden uns schon Sensationen mit dem Zusatz: „Diesmal im wahrsten Sinne des Wortes“ angedient, und da weiß jeder, daß es gelogen ist, und bleibt lieber zu Hause. Sensationen, das Wort hat doch eigentlich etwas mit Gefühl zu tun, mit Sensibilität. Heutzutage denkt man nur noch an Zirkus: Menschen, Tiere, Sensationen, alles viel bunt hier und nichts dahinter. Um die Inhalte müßten die sich kümmern bei Horizonte, nicht nur Trophäen sammeln.
Und dann gibt es noch den kleinen Vermerk mit dem Sternchen, der diesmal buchstäblich auf allen Anzeigen hinter jedem Veranstaltungshinweis prangte:*Noch Karten. Die Sternchen gibt es schon länger, niemand hat sie weiter beachtet, und jetzt haben sie sich epidemisch verbreitet wie Windpocken. Ein böses Zeichen. Festivalitis, das scheint nicht nur eine vorübergehende Plage zu sein wie Filzläuse, sondern eine Seuche mit hoher Ansteckungsgefahr. Weder die lieben Berliner und Berlinerinnen, noch die BerlinerInnen aller Länder sind dagegen gefeit.
Elias Bethäuber
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